Teampsychologe

"Na ja, eine große Klappe heißt nicht unbedingt ein großes Selbstbewusstsein. Viele Menschen sind hinter ihrer großen Klappe ganz klein - was aber nicht heißt, dass das auch auf dich zutrifft", stellte Hans-Dieter direkt klar.
"Wenn du ein großes Selbstbewusstsein hast, brauchst du keine Angst vor den anderen zu haben. Vor allem keine Angst vor kleinen Berührungen. Du musst dir dessen bewusst werden, was du kannst und was du bist."
Er stand auf und holte einen Block und einen Kulli.
"Schreibe auf ein Blatt alle positiven Eigenschaften, die dir einfallen. Was du gut kannst, was du an dir magst... solche Sachen."

Leo kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe herum. Traf das auf ihn zu? Eigentlich war er sich recht sicher gewesen, ein gutes Selbstbewusstsein zu haben, aber dem schien ja jetzt nicht so. Etwas überfordert starrte er das weiße Papier an und seufzte. Auser Fußballspielen fiel ihm erstmal nichts ein, daher schrieb er es nach ganz oben. Danach kaute er nachdenklich auf dem Kuli herum, bis es ihm auffiel. "Upps... sorry." Er zögerte kurz, bevor er "meine Haare" und "meine Freundin"ebenfalls aufschrieb. Danach stockte er allerdings erneut. Das war wirklich schwerer als gedacht. Er schrieb noch "gut zuhören" auf, dann fiel ihm allerdings wirklich nichts mehr ein.

Aufmerksam beobachtete Hans-Dieter den Spieler. Es fiel ihm offensichtlich schwer gute Eigenschaften über sich selber aufzuschreiben.
Er wartete aber ab bis Leonardo wirklich gar nicht mehr schrieb. Die Ausbeute war nicht sonderlich groß, aber er wollte ihm auch nicht alles vorkauen. Hans-Dieter stand auf und kam mit Karteikarten wieder. Es waren zwanzig Stück und auf jeder stand "Ich bin...". Er reichte sie Leonardo.
"Nimm erst mal die ersten zehn Karten und vervollständige die Sätze. Du kannst schreiben 'Ich bin Fußballer' oder 'Ich bin ein witzig'... versuch das mal. Die Sätze sollen aber nicht negativ sein."

"S-so viele?!" Er fand, dass alleine zehn Stück schon viel zu viele waren, aber trotzdem nahm er sie entgegen und starrte sie an. Auf die erste schrieb er logischerweise "Ich bin Fußballer." Er legte sie zur Seite und fixierte die zweite Karte, in der Hoffnung, dass sie ihm etwas vorsagte. Seufzend kritzelte er "Ich bin ein guter Zuhörer." darauf und legte auch sie zur Seite. Neben "Ich bin schnell" und "Ich bin lustig" schrieb er außerdem "Ich bin noch jung" auf, einfach, weil ihm Didis Aussage über sein Alter wieder einfiel. Gedankenverloren notierte er gerade "Ich bin klein", als ihm auffiel, dass es ja nichts Negatives sein sollte. Angestrengt überlegte er, was an klein sein so toll war. Schnell schrieb er noch ein "und habe mehr drauf, als andere erwarten" hintendran.
"Ich weiß nichts mehr", jammerte er und sah auf seine klägliche Ausbeute von sechs Karten. Schulterzuckend schrieb er "Ich bin in einer Beziehung", "Ich bin Leo", "Ich bin klug" und "Ich bin dunkelhaarig" auf die restlichen Karten. Klar waren einige davon bescheuert, aber immerhin stand jetzt etwas drauf.

Wieder war die Aufgabe alles andere als leicht für Leonardo. Das hatte Hans-Dieter sich schon fast gedacht.
"Die anderen zehn Karten steckst du dir ein. Ich möchte, dass du sie morgen zu unserer nächsten Sitzung mitbringst - ausgefüllt natürlich", er lächelte etwas.
"Nimm dir einen neuen Zettel von dem Block und schreibe da negative Sachen über dich auf. Was magst du an dir nicht? Was würdest du gerne ändern?"
Er war gespannt, ob ihm das leichter fallen würde.

Leo sah ihn geschockt an und schielte danach zu den Karten. Er wusste doch jetzt schon nichts, da würde am Ende bestimmt nur wieder Schwachsinn rauskommen. Seufzend knickte er die Karten und schob sie sich danach in die Hosentasche, bevor sich ein neues Blatt nahm.
Als erstes schrieb er "Ich bin zu klein" auf, auch wenn sich das mit dem auf der Karteikarte widersprach. Natürlich war es oft ein Vorteil, aber meistens wurde er dadurch nur herumgeschubst. Danach überlegte er kurz, bevor er "Ich schlafe schlecht, wenn ich alleine bin" aufschrieb. Eigentlich hatte er das ja verheimlichen wollen, aber irgendwie fiel ihm auch hier nichts Gescheites ein. Diese Aufgaben waren doch doof! Seufzend drehte er den Stift in der Hand. "Ich gehe zwischen den anderen Spielern unter." "Ich bin vorlaut." Nachdenklich sah er die vier Sachen an, bevor sein Blick zu Didi ging und er mit den Schultern zuckte.

Hans-Dieter nickte nachdenklich.
"Wenn du dir das jetzt anguckst, glaubst du, man kann diese Punkte, die in deinen Augen negativ sind, in positive umwandeln? Oder meinst du, dagegen kann man gar nichts machen und sie müssen negativ bleiben?"
Vielleicht eine seltsame Frage in Leonardos Augen, aber wenn er die Antwort hatte, würde Hans-Dieter anfangen den Punkten einen positiven Effekt zu geben.

"Hmm... na ja, dass ich klein bin, hab ich ja schon auf der Karte positiv geschrieben... Und vorlaut... uhm...vielleicht, dass ich sagen kann, was ich will? Also, dass ich mich nicht unterdrücken lasse? Also verbal... Und das andere, eigentlich nicht, oder? Ich meine, dass ich unter gehe... das muss ich halt ändern, daran gibt es nichts Positives. Und das einzig Positive an der Sache mit dem Schlafen ist, dass es Manu auch so geht und der jetzt bei mir übernachtet."
Er sah Didi nachdenklich an und wartete auf seine Antwort.

"Okay...", er nickte. "Also gehen wir die Punkte mal nacheinander durch. Du hast geschrieben, dass du klein bist. Da kannst du nichts dran ändern, das ist etwas, wo wir Menschen keinen Einfluss drauf haben. Es kommt aber darauf an, was du daraus machst. Du hast richtig erkannt, dass du mehr kannst, als andere es vielleicht erwarten. Das ist gut. Das ist ein echter Vorteil. Deswegen streich den Punkt von der negativen Liste. Es ist nicht schlimm, dass du klein bist. Guck dir andere kleine Menschen an. Franck Ribéry oder das beste Beispiel hast du direkt vor deiner Nase: Philipp Lahm. Was hat letztes Jahr ein Kommentator gesagt? Er ist der kleinste Kapitän, den Bayern jemals hatte. Also: streichen."
Aufmunternd lächelte Hans-Dieter ihn an.
"Dann der Punkt, dass du vorlaut bist. Das ist nicht zwangsläufig was schlechtes ist. Wenn du dabei fair, respektvoll und freundlich bleibst, ist das gut. Die Welt braucht hin und wieder einfach ein paar, die ihren Mund aufkriegen. Außerdem zeigt das, dass du dir nichts gefallen lässt und den Mund aufbekommst. Viele lassen sich lieber unterdrücken und ungerecht behandeln, weil sie sich nicht trauen etwas zu sagen. Also: streichen." Eine kurze Pause.
"Warum meinst du, dass du untergehst? Kannst du mir den Punkt näher erklären?"
Hans-Dieter wollte als letztes darauf eingehen, warum Leonardo schlecht schläft, wenn er alleine ist.

Leo nickte und strich die beiden Punkte durch. Als Didi ihn allerdings weiter ausfragte, seufzte er. "Na ja... hier sind alle sooo gut und Stammspieler und ich... ich halt nicht", nuschelte er. "Ich hab manchmal das Gefühl, Jogi nimmt mich nicht wahr. Außer, ich baue Mist, dann merkt er das natürlich sofort!"

"Das kann man auch ändern", stellte Hans-Dieter direkt fest. "Zeig dich im Training mehr, biete dich an, häng dich rein. Mach auf dich aufmerksam. Hol dir vielleicht sogar Tipps und Tricks von anderen Spielern. Es ist nichts schlimmes, um Rat zu fragen. Es zeugt sogar von Stärke. Und wenn du merkst, dass das alles nichts bringt, dann such das Gespräch mit Joachim Löw. Dafür ist er da. Als Trainer hat er immer ein offenes Ohr für dich. Frag woran es liegt, dass du nicht erste Wahl bist. Niemand wird dir das so gut sagen können, wie er."
Hans-Dieter schenkte Leonardo ein freundliches und ehrliches Lächeln. "Du bist Teil des Teams wie alle anderen auch. Du gehörst dazu und gehst nicht so unter, wie du vielleicht denkst."
Er machte eine kurze Pause, ehe er schon den letzten Punkt anriss.
"Wie erklärst du es dir, dass du alleine nicht schlafen kannst?"

"Hmm... okay..." Das würde er vielleicht mal machen. "Danke." Er zuckte zusammen, als die wohl unangenehmste Frage kam. "I-ich... ich weiß nicht. Das hab ich schon lange... Ich werde dann unruhig, schlage um mich und wache schweißgebadet, manchmal sogar heulend auf. Aber das Problem ist, dass ich mich an keinen Alptraum erinner. Ich weiß nie, wovor ich Angst hatte... Wenn mich jemand im Arm hält, oder in meiner Nähe ist, geht es aber... Meine Mutter hat mich auch schon mal zu nem Arzt geschickt, als ich kleiner war, die haben aber gesagt, das wäre nur Stress."

"Hm...", nachdenklich rieb Hans-Dieter sich über sein Kinn. "Gibt es ein Ereignis in deiner Vergangenheit, an das du dich erinnerst? Also eines, was dir Angst gemacht hat. Eine Art Trauma vielleicht sogar? Gibt es da etwas in deiner frühesten Kindheit? Es muss auch noch nicht mal etwas schlimmes gewesen sein, es reicht, wenn du es als besonders schlimm empfunden hast."

"Na ja... ich ... das einzige war mal, dass mein Bruder mich nach einem Streit im Wandschrank eingeschlossen hat. Ich hab die ganze Nacht da gesessen und geheult... Aber das ist schon ewig her und... mein Bruder hat Ärger bekommen, ich durfte am nächsten Abend lange aufbleiben und dann bei meinen Eltern schlafen. Also... das kann es doch eigentlich nicht sein, oder? Ich hab ja auch mit ihm drüber geredet und jetzt kann ich auch drüber lachen."

"Das bedeutet nichts", überlegte Hans-Dieter. "Du hast da zwar drüber geredet und es ist nicht mehr schlimm, aber es hat dich als Kind geprägt. Zumindest wäre es eine Möglichkeit. Du warst alleine in einem dunklen Raum und es war Nacht. Das erklärt, warum es dir heute auch noch schwer fällt nachts alleine zu sein."
Hans-Dieter musterte Leonardo kurz. "Wir können es auf jeden Fall probieren. Für mich klingt das sehr plausibel. Aber wie war das? Manuel schläft jetzt bei dir? Das ist gut, dann kannst du die nächsten Nächte in Ruhe schlafen. Ich möchte nämlich gerne heute noch nicht damit anfangen das aufzuarbeiten, okay? Wir beseitigen erst die eine Baustelle und kümmern uns dann um die nächste."
Dann kam ihm ein Gedanke. "Du hast einen sehr guten Draht zu Manuel, richtig? Sprich mit ihm mal über dein Selbstbewusstsein, wenn du dich ihm anvertrauen kannst. Vielleicht kann er dir auch dabei helfen. Aber das musst du nicht, wenn du das nicht möchtest."

Leo schluckte. Das konnte doch nicht sein, dass er nur deswegen schlecht schlief?! Trotzdem nickte er. "Okay... ich werde mit ihm reden, er wartet ja sowieso draußen auf mich", murmelte er. "Das... das mit Marc kriege ich schon hin. Und Manuel hat versprochen erstmal bei mir zu übernachten, weil er eben auch damit Probleme hat." Er zuckte erschrocken zusammen. Hätte er das überhaupt sagen dürfen? Aber jetzt war es sowieso zu spät...


(bin dann off und versuche, bei der Hitze hier n bissl zu pennen...)

"Das mit Marc regeln wir auch dadurch, indem wir dein Selbstbewusstsein stärken, Leo", erklärte Hans-Dieter noch mal. "Wir können aber gerne auch noch mal mit Marc gemeinsam reden. Schlaf mal eine Nacht drüber und denk drüber nach."
Aber der Satz mit Manuel ließ ihn stutzen. Was meinte Leonardo damit? "Wenn du noch etwas sagen oder fragen möchtest, dann mach das jetzt, sonst sehen wir uns morgen mit den ausgefüllten Karten und reden noch mal ausführlich über alles. Auch über die Situation damals als du noch ein Kind warst, okay? Wenn du aber gehst, schick mir doch Manuel bitte kurz noch mal rein, ja?"

"Okay", murmelte er leise und erhob sich. "Danke...", fügte er artig hinzu und schlurfte wieder nach draußen, wo er zu Manuel ging und sich erschöpft auf das Sofa fallen ließ. "Du sollst auch mal zu ihm rein..."

Manu sah auf. Er hatte leider nicht viel mitbekommen und lauschen war ja auch nicht gerade die feine englische Art. Er rappelte sich vom Boden auf und zog Leo kurz in seine Arme. "Okay.. wir sehen uns später!" Er schaute Leo noch kurz eindringlich an und betrat dann etwas zögernd den Raum.
"Was gibt es?" fragte er den Doc, als er den Raum betrat.

"Setz dich doch kurz." Hans-Dieter deutete auf das Sofa vor ihm. "Ich wollte mal nachfragen, wie es dir so geht." Er wollte langsam anfangen und gucken, ob Manuel von sich aus etwas erzählen wollte. Ob es überhaupt nötig war, darüber zu reden. Aber da Manuel noch vor kurzem hier gesessen hatte, war es vielleicht nicht verkehrt. Und Hans-Dieter meinte beides. Den Punkt, dass Marc ihn wohl verletzt hatte und dass er schlecht schlief alleine.

Manu schaute ihn verwirrt an und setzte sich schließlich doch. "Ähm.. ganz gut eigentlich.. " nuschelte er vor sich hin, unsicher was das hier werden sollte. "Wenn ich hier sitze, weil Marc mich verpetzt hat, kann ich dazu nur sagen, dass ich immer noch denke, dass es gut so war! Er braucht Hilfe, das geht ja nicht so weiter..er kann ja nicht einfach Spieler angreifen!" versuchte Manu sich sofort zu rechtfertigen.

"Nein, darum geht es eigentlich nicht. Wobei ich da vielleicht auch zwei Sätze zu sagen sollte. Ich finde es gut, dass du dich so für Leonardo einsetzt, allerdings macht es keinen Sinn, wenn Marc nicht auch will. Menschen können nur therapiert werden, wenn sie es auch wollen. Deswegen habe ich Marc auch erst mal wieder gehenlassen. So, wie er eben drauf war, hat das alles keinen Sinn gemacht", erklärte Hans-Dieter Manuel.
"Aber es ging mir eher um den Punkt, dass Marc dich in irgendeiner Art und Weise verletzt haben soll. Deswegen wollte ich fragen, ob alles okay ist."
Eins nach dem anderen. Abwartend sah Hans-Dieter ihn an.

"Na super.. aber gut. Wenn er nicht will!" Manu verdrehte nur die Augen. Marc würde schon einsehen, dass er Hilfe brauchte. Doch Didis Frage verwirrte ihn. Einen Moment musste er überlegen, dann verstand er. "achso...er meint damit Thomas." Murmelte er eher zu sich selbst.

Aufmerksam sah Hans-Dieter Manuel an. Es schien ihn wirklich zu belasten... "Ist das alles oder ist da noch mehr?", fragte er ruhig nach.

Manu zuckte mit den Schultern. "Ich..ich hab dir das doch erzählt. Das Thomas mich angelogen hat, mit der Sache, dass er schon vor mir einen hatte...das hat mich verletzt, klar.. aber Leo.. hat das wohl zu.. arg verstanden.. so schlimm war es auch nicht..aber ich find es echt süß von ihm, dass er mich so versucht zu schützen.. Leo ist mir echt wichtig geworden!" Manu lächelte ins nichts. Er war froh, ihn kennen gelernt zu haben.