Teampsychologe

Leo sah ihn erschrocken an und zog die Beine auf den Sessel. Nicht schon wieder, das letzte Mal hatte er sie auch nur ganz erzählen können, weil Manuel ihn in Arm gehalten hatte. Er schloss sicherheitshalber die Augen und redete sich ein, dass Manuel direkt vor der Tür stand und ihm jederzeit helfen konnte. "O-okay... der Anfang war beim Training... nein... ich mochte ihn schon vorher nicht, weil er daran schuld ist, dass Manu traurig ist. Und... dann beim Training ist er hingefallen im Sand und ich hab gelacht, ihm dann aber hochgeholfen. Danach hat er gesagt, ich seie tot und er hat mich in den Sand geschubst. Nach dem Teil am Pool bin ich in den Park und hab mich da versteckt, weil... na ja, ich hatte irgendwie doch Angst. Er... er ist mir gefolgt und hat mich angemeckert. Ich solle ihm sagen, was mein Problem wäre, was ich dann auch gemacht habe. Er hat mich dann dauernd so abwertend angesehen. Da hab ich ihm dann gesagt, was mich an ihm stört und ich hab ihm eine Ohrfeige gegeben. Dann hat er... er hat... mich auf den Boden geworfen und die Arme über dem Kopf festgehalten. Dann... hat er gesagt, ich sollte nichts verurteilen, wenn ich es nicht ausprobiert hätte. Dann hat er mich geküsst und sein... B-Bein zwischen meine und gegen meinen Schritt gedrückt... Ich hab ihn gebissen und um mich getre-treten und dann ist er von mir runter. Und... dann ist Manu gekommen." Er presste sein Gesicht gegen seine Knie und traute sich nicht, Marc auch nur anzusehen.

"Was stört dich denn an ihm?" Er wusste, dass es Leonardo schwer fiel, aber das musste jetzt sein. Hans-Dieter musste wissen, was sein Problem mit Marc war.

Leo schlang beide Arme um seine angewinkelten Beine und zögerte einen Moment. "Er... er führt sich auf, als wäre er hier der King. Er hat nicht mal reagiert, obwohl er Manuel verletzt hat. Er... er zeigt keine Gefühle! Ich meine... ich bin viel kleiner, wieso schubst er mich einfach in den Sand?! Außerdem... es ist einfach... er denkt, er kann hier jeden haben! Es ist... er kotzt mich halt einfach an!"

"Okay." Hans-Dieter nickte nachdenklich.
"Und wie ist deine Version des Ganzen, Marc?" Jetzt sah er den Torhüter an. Er war gespannt.

SMS - Marc, dein Schatz vermisst dich ♥

Lass Max in Ruhe! Er würde sowas nie tun, also lüg nicht rum! Julian hasst mich - was, wenn er an die Presse geht?

"Er hat mich beim Training provoziert und hat dann im Park weiter gemacht, wirft mir Dinge vor, die er mir immer noch nicht erklärt hat und hat mich dann geschlagen." Das letzte Wort betonte er besonders. Es war schließlich eine Tatsache.
"Da hab ich ihn einen kurzen Moment geküsst und dabei wohl versehentlich mein Bein an ihn gepresst. Und ihn dann sofort losgelassen, als er gezeigt hat, dass er das nicht will", fasste er das Ganze nochmal trocken zusammen. Wie oft musste er das jetzt noch erzählen?

"Warum hast du ihn geküsst?", fragte Hans-Dieter weiter nach. Er merkte sehr wohl, dass Marc eigentlich nicht hier sein wollte, aber er war es und noch war er es, also würde er weiter fragen, bis alles Unklare geklärt war.

"Er hat mich Schlampe genannt." Marc benutzte sein gesamtes schauspielerisches Talent, um so auszusehen, als hätte ihn das verletzt. Immerhin hatte er dem Menschen, der ihn vermutlich besser kannte als jeder andere fünf Jahre lang vorgespielt, er würde ihn lieben, da sollte das hier kein Problem darstellen.
"Und ich wollte einfach, dass er die Klappe hält."
Kein guter Grund, aber ausnahmsweise mal die Wahrheit. War doch auch schon mal was.

Hans-Dieter dachte einen Moment nach. Das gefiel ihm nicht, da war er ganz ehrlich. Vor allem war Marcs Verhalten irgendwie seltsam.
"Leonardo, würdest du bitte mal einen Moment vor der Tür warten? Ich möchte gerne kurz mit Marc alleine reden." Der Psychologe lächelte Leonardo freundlich an. So war es ihm lieber, da konnte er offen mit Marc reden ohne den Jüngeren zu verschrecken.

"A-aber... er lü-lügt!", stammelte er verzweifelt, stemmte sich aber aus dem Sessel hoch. "Er spielt das jetzt to-total runter, d-das stimmt nicht!", erklärte er dem Doc noch einmal, bevor er aus dem Zimmer schlurfte. Vor der Tür ließ er sich direkt auf den Boden sinken und ignorierte Manuel, der mit dem Rücken zu ihm in einem der Sessel vor dem Raum wartete.

Hans-Dieter sah Leonardo nach. Mit ihm würde er später auch noch alleine reden, aber erst mal galt seine Aufmerksamkeit Marc. Er sah ihn direkt an.
"Ich möchte, dass du mit mir offen und ehrlich bist. Man küsst doch nicht einfach jemanden einfach so. Und warum hast du ihn... ich nenne es jetzt mal 'bedrängt'. Ich möchte alle Hintergründe wissen. Und keine Sorge, ich werde nichts davon weiter verraten, ich stehe unter Schweigepflicht."

Marc blickte Leonardo unbegeistert nach. Er hatte absolut keinen Bock auf diesen Mist und dass Didi jetzt mit ihm allein reden wollte, passte ihm gar nicht. Er wollte hier weg. Das war doch ein überflüssiger Mist hier...
Dass Leonardo ihm auch noch vorwarf zu lügen, setzte dem Ganzen noch die Krone auf. Das kleine Weichei sollte mal selber nicht so übertreiben und alles zehn mal schlimmer erzählen, als es war. Dann würden sie hier auch gar nicht sitzen, wenn der sich nicht selber so einen Müll einreden würde. Oder ihn sich von Neuer einreden ließ.
"Soll ich's jetzt zum dritten Mal erzählen?" Marc gab sich keine Mühe mehr, seine Genervtheit zu unterdrücken. Was wollte der Kerl von ihm? Wusste der überhaupt, was er hier tat?

Hans-Dieter sah Marc ruhig an. "Was ist dein Problem?", fragte er gerade aus. "Dass du hier nicht sitzen willst, kann ich dir ansehen. Du bist genervt von alle dem. Vermutlich auch genervt und vor allem auch sauer, weil Leonardo dich als Lügner darstellt. Du wärst aber nicht hier, wenn du die Sache nicht in irgendeiner Form aus der Welt schaffen wollen würdest. Oder hat dich jemand darum gebeten? Jemand anderes als Leonardo?"
Ihm kam Manuel in den Sinn, der vor der Tür zu warten schien. Aber hatte Leonardo nicht was davon erzählt, dass Marc ihn verletzt hatte? Was hatte diese Tatsache mit der ganzen Situation zu tun?

Gut, dass Didi das schon mal erkannt hatte. Aber Marc hatte sich ja auch große Mühe gegeben, das so zu übermitteln.
"Jemand hat nicht gebeten. Er hat mich erpresst", gab er ruhig zur Antwort, schnaubte aber dann. Wie ihn der Kerl schon wieder nervte, wenn er nur daran dachte. Mit dem war er wirklich komplett fertig, der brauchte gar nicht erst daran denken, nochmal anzukommen.
Marc würde auf keinen Fall nochmal irgendwas mit Neuer machen.
Er hoffte einfach mal, dass Didi jetzt einsah, dass er Marc nicht länger nerven musste. So ein erzwungenes Gespräch konnte kein Psychologe gut heißen, da konnten sie es auch direkt sein lassen. Hätte den selben Effekt und sie wären danach alle nicht so genervt.
Nochmal kurz Leonardo beruhigen und dann war's das. Marc brauchte keine Hilfe.

"Okay. Ich werde nicht nachfragen, mit was er dich erpresst. Aber ich möchte den wahren Grund wissen, warum du Leonardo geküsst hast. Ich glaube nicht, dass du ihn nur zum Schweigen bringen wolltest. Das würde auch anders gehen. Ich brauche die wahren Gründe, damit ich Leonardo seine Angst nehmen kann. Ich argumentiere quasi gegen dich oder nein, eigentlich für dich. Wenn ich weiß, wie du tickst, kann ich besser mit der Situation arbeiten. Verstehst du das?"
Hans-Dieter sah Marc an. Er war sich nicht sicher, ob er seine Beweggründe verstehen würde.

"Ist unspektakulär", verdrehte er genervt die Augen. Konnte er nicht erwarten, dass der wenigstens nachfragte? Den sollte es doch eigentlich schon interessieren, weshalb Marc jetzt hier saß. Und vor allem sollte der nicht einfach weitermachen wie vorher und Marc mit dem selben Mist wie vorher nerven.
"Das klingt ja alles schön und gut, aber es ist nun mal so, wie ich das vorher schon öfter erklärt habe. Ich werde jetzt hier keine Begründungen erfinden, damit du zufrieden bist.
Ich konnte ja nicht ahnen, dass Leonardo ein Trauma hat. Sonst hätte ich sicher einfach zurückgeschlagen und damit hätte sich die Sache auch gehabt. Aber die Hauptsache war in dem Moment für mich, dass er mir nicht weiter mit Worten weh tut."
Wenn er das gleich nochmal erklären müsste, würde er schreien.

"Erst bist du genervt, weil ich nachfrage, jetzt weil ich es nicht tue. Dann erzähl mir davon. Ich höre dir gerne zu." Hans-Dieter lächelte freundlich. Irgendetwas belastete Marc, hatte er das Gefühl. Aber er wusste nicht genau was.
Zu den anderen Aussagen nickte er nachdenklich. Welcher Mann küsste einfach einen anderen, um ihn zum Schweigen zu bringen? Wobei auch die Frage interessant war, warum Leonardo ihm so wehtun konnte.
"Er hat dich also Schlampe genannt? Warum hat dich das so verletzt? Hat er Recht mit dieser Aussage?"
Hans-Dieter wollte ihm nichts unterstellen, aber wäre es nicht so, würde Marc wohl eher drüber lachen und sich nicht verletzt fühlen. Er musste also selber wissen, dass zumindest ansatzweise etwas dadran war.

"Ich bin genervt, wenn ich zehn mal das selbe erzählen muss", stellte er klar. Gegen Nachfragen hatte er ja prinzipiell nichts, solange sie Sinn machten und etwas Neues zu Tage förderten. Was bisher nicht unbedingt der Fall gewesen war.
Irritiert starrte er dann Didi an. Welchen normalen Menschen verletzte es denn bitte nicht, Schlampe genannt zu werden? Das Problem beim Erklären könnte werden, dass Marc eben nicht zu diesen normalen Menschen gehörte. Aber gut, musste er halt improvisieren.
"Ja, er hat vermutlich Recht. Aber ich bekomm das halt nicht gern von anderen Leuten unter die Nase gerieben, vor allem wenn sie mich dabei noch so abwertend ansehen."
Wenn der jetzt noch weiter in die Richtung fragte, würde er einfach abhauen.
Neuer konnte ihn dann mal, er hatte damit seinen Teil der Abmachung eingehalten.

Eigentlich hing gerade in diesem Raum ein großes Problem. Marc war nicht freiwillig hier, also würde er freiwillig nichts von sich preisgeben.
"Gut, du hast noch nicht die Umstände um die Erpressung erzählt." Hans-Dieter sah ihn auffordernd an und in gewisser Weise auch eine Spur herausfordernd. Wenn er recht hatte, setze sich das Puzzle langsam zusammen. Marc hatte Manuel verletzt, weswegen Leonardo ihn "Schlampe" genannt hat, was Marc wiederum verletzt hat, weil es die Wahrheit war und jetzt erpresste Manuel Marc, dass er hier saß. Nur so ganz war ihm Manuels Rolle in dem Ganzen noch nicht klar. Vielleicht sollte er auch mit ihm reden, wenn er mit Leonardo gesprochen hatte.
Hans-Dieter hoffte gerade, dass Marc ihm erst mal noch mehr erzählen würde, aber er war sich nicht sicher. So ganz konnte er den Torhüter gerade nicht einschätzen. Entweder er würde mehr erzählen oder er würde dicht machen und sogar abhauen.

"Neuer hat uns im Park gesehen und dann Leonardo in sein Zimmer gebracht und war dann bei dem Gespräch dabei. Und als ich nicht hierhin wollte, hat er gesagt, dass er sonst die ganze Geschichte Jogi erzählt", fasste er es kurz zusammen. Was er Neuer dafür am liebsten antun würde, gehörte nicht hierher und dass er den Kerl sicher niemals wieder ficken würde, auch nicht unbedingt.
Warum der sich eingemischt hatte und was der überhaupt für Probleme hatte, wusste Marc nach wie vor nicht, da konnte er Didi nichts drüber erzählen.
Ach nee, der mochte ihn ja, da tat man sowas ja... Wie hatte er das bloß vergessen können?

Schon wieder Manuel.
"Welche Rolle spielt Manuel in dem Ganzen?", fragte Hans-Dieter dann doch mal nach. "Leonardo hat etwas davon erwähnt, dass du Manuels Beziehung zerstört hast, ist das richtig? Hat er dich deswegen 'Schlampe' genannt?"
Hans-Dieter rief sich Manuels Worte in den Sinn. Die Beziehung zu Thomas war zerbrochen, weil dieser schon zwei weitere Männer vor ihm hatte... Marc war einer dieser Männer. Das brauchte er gar nicht hinterfragen, das war ganz klar. Und Manuel hatte sich wohl Leonardo anvertraut.
Er ließ seine Fragen trotzdem erst mal im Raum stehen. Er war gespannt, was Marc darauf antworten würde. Ob er überhaupt alles wusste...

Genervt schnaubte Marc.
"Nein, ich hab keine Ahnung, was er damit meinte. Will er mir ja scheinbar auch nicht erklären, ich hab nicht nur einmal nachgefragt.
Ich hatte ein paar Mal was mit Neuer, aber er kam das erste Mal an. Dass der ne Beziehung hatte, wusst ich nicht", erzählte er dann.
"Und so besonders schlimm kann's auch nicht gewesen sein, wenn er danach noch mit mir ficken will."
Mehr konnte er zu dem Thema auch nicht erzählen. Na bitte, konnte doch keiner behaupten, er hätte sich keine Mühe gegeben. Es war also nicht seine Schuld, dass ihn das hier kein Stück weiter brachte...

Marc wusste wohl nicht, was er wusste. Okay... aber sie drifteten auch vom eigentlichen Thema ab.
"Gibt es noch etwas, was du mir zu dieser Sache sagen möchtest?"
Sonst konnte er gehen, dann würde er mit Leonardo reden. Der hatte es auch bitternötig. Leider.

Marc brauchte nicht lange nachdenken, er hatte Didi nie irgendwas erzählen wollen. Er hatte ja nicht mal mit ihm reden wollen.
"Nee, da ist nichts mehr." Abwartend blickte er Didi an.
Hoffentlich konnte er jetzt endlich mal abhauen...

"Gut, dann schick bitte Leonardo wieder rein." Hans-Dieter sah Marc eindringlich an. "Wenn aber mal was ist, weißt du, wo du mich finden kannst."
Er glaubte kaum, dass Marc irgendwann mal den Weg zurück auf dieses Sofa finden würde, aber wer wusste schon, was in ein paar Tagen sein würde. Bei dieser WM konnte man es eh nicht wissen.