Teampsychologe

Marco nickte triumphierend. "Doch, es ist logisch, dass Emilia zum leiblichen Vater will. Und die Ausstiegsklausel ist auch keine Seltenheit. Meinetwegen drehen und wenden Sie es, wie Sie wollen, ich bleibe bei meiner Meinung. Ich werde Neuer aus dem Weg gehen und wenn er mich provoziert, wird er es bereuen."

"Nein, es ist nicht logisch", widersprach Hans-Dieter. "Es hätte genauso gut sein können, dass Manuel mit den Kindern nichts zu tun haben will. Oder Emilia nicht mit Manuel, da er nun mal nicht ihr Freund ist."
Er sah Marco einen Moment lang an. "Du willst oder kannst nicht sauer auf Mario sein. Aber dennoch bist du wütend und suchst einen schuldigen. Das mit Manuel macht Sinn, also muss er dafür herhalten. Du liebst Mario. Du kannst ihn nicht lange hassen." Er lächelte Marco an. "Deine Wut braucht einen Namen. Deswegen Manuel. Meinst du nicht, wir sollten einfach versuchen, die Wut aus dir raus zubekommen? Die Wut, den Frust, die Enttäuschung."

"Doch ist es!", widersprach er ihm sofort und wusste, wie kindisch sich das anhören musste.
Er hörte nur halb zu und seufzte genervt. "Dass mit dem Wut rauslassen hat nicht geklappt. Ich hab das ganze Vormittagstraining verpasst, weil ich auf den Boxsack eingeschlagen habe, es bringt einfach nichts! Nach der Ohrfeige ging es mir kurz besser, aber vorhin im Training war ich sofort wieder auf 180! Wenn noch ein Fehltritt passiert, schickt Jogi mich nach Hause, aber ich kann Neuers Visage einfach nicht mehr sehen!"

"Hast du eigentlich schon mal in Ruhe mit Mario gesprochen oder hast du direkt auf ihn eingeredet, dass er nicht wechseln kann bzw. soll oder darf?"
Hans-Dieter kam langsam zu der Meinung, dass Marco sich mit Mario und vielleicht auch mit Manuel in Ruhe aussprechen musste. So kam er zumindest gerade nicht weiter.

"Na ja, klar habe ich! Er hat mir erzählt, dass Volker ihn angerufen hat und das Angebot unterbreitet hat. Wir haben dann geredet und er hat versprochen, nicht zu wechseln. Aber jetzt... es bringt doch nichts, wenn ich mit ihm rede. Es ist immer nur Emilia hier, die Kinder da, München dort! Ich kann es echt nicht mehr hören!" Er schüttelte mutlos den Kopf.

"Eigentlich hast du Angst. Angst allein zu sein, wenn Mario geht. Angst ihn komplett zu verlieren." Es war eine Feststellung. Hans-Dieter musste nicht fragen. Es wurde gerade mehr als deutlich. Angst wurde oft zu Wut. Diese Angst war aber nicht nötig. Marco und Mario mussten unbedingt in Ruhe miteinander reden, damit Marco seine Angst verlor.

Marco schluckte als Didi nichts mehr als diese Tatsache nannte. Er knetete unwohl seine Hände in seinem Schoß und stand vom Stuhl auf, um im Raum auf und abzugehen. "Das... ja und? Ist das so verwunderlich?! Ich sehe ihn jeden Tag und jetzt zieht er einfach weg! Natürlich will ich nicht alleine sein, wer will das schon?!"

"Nein, ich habe nicht gesagt, dass es verwunderlich ist. Es ist vollkommen normal. Ich verstehe dich auch. Ich glaube, es gibt viele Menschen, die dich verstehen werden. Aber es bedeutet nicht, dass du Mario gar nicht mehr sehen wirst. Weißt du, Marco, der Fußball ist schnelllebig. Wer in der einen Saison noch in der Kabine neben dir sitzt, ist in der nächsten Saison dein Gegner. Aber das bedeutet nicht, dass es keine Freundschaften gibt. Guck dir doch mal Lukas und Basti an. Sie wurde Freunde bei der Nationalmannschaft. Der eine in Bayern, der andere in Köln. Dann kam Lukas nach Bayern, aber er ging auch wieder nach Köln und jetzt ist er sogar in England. Glaubst du, das hat ihnen geschadet? Es gibt doch so viele Möglichkeiten heute in Kontakt zu bleiben. Und ich wage jetzt auch mal die Aussage, dass ihr auch das Geld habt, um mal eben einen Flug nach München oder Dortmund zu nehmen. Ich weiß nicht, geht eine Maschine von Dortmund nach München? Sonst von Köln oder Düsseldorf aus. Aber in knapp einer Stunde ist man dann da. Ihr seid gegenseitig nicht aus der Welt. Ich weiß, dass es auch was anderes ist, ob man skypet oder sich so sieht. Aber es ist doch eine Herausforderung das beste aus dem zu machen, was man vorgelegt bekommt, oder nicht? Und wo ein Wille ist, ist auch ein Weg."
Hans-Dieter lächelte Marco an. Er hatte den Wunden Punkt durch seine Aussage getroffen. Aber darauf ließ sich aufbauen.

Marco raufte sich nervös die Haare und lief weiterhin auf und ab. Skype, Pendeln, Telefonieren... Das hörte sich alles nach einer Fernbeziehung an, aber Mario und er waren doch beste Freunde! Nicht mehr und viel wichtiger nicht weniger!
"Aber... ich... er soll nicht..." Kraftlos ließ er sich wieder auf seinen Stuhl fallen und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Jetzt hatte der Psychodoc ihn hoffentlich, wo er ihn haben wollte. Er zog schniefend die Nase hoch und wischte sich die Tränen vom gesicht, bevor er den Kopf wieder ablegte. Sollte der Arzt ihm nicht eigentlich helfen und nicht so lange auf ihn einreden, bis es ihm noch schlechter ging?!

Hans-Dieter holte die Taschentücherkiste und stellte sie vor Marco auf den Tisch.
"Menschen müssen zu oft im Leben Trauer ertragen. Aber oft kann man nichts dagegen tun. Die Welt wird nicht untergehen, nur, weil Mario geht. Du hast doch noch andere Freunde bei Dortmund. Du wirst nie ganz alleine sein."
Sie waren jetzt auf der Ebene, dass ein Gespräch mit Mario fällig war. Nur er konnte Marco die Angst nehmen und somit die Wut auf Manuel. Er wollte aber noch einen Moment abwarten, bevor er ihn vielleicht sogar direkt noch dazu holte, wenn Mario Zeit hatte.

Marco zog sich einige Taschentücher heraus und wischte sich damit die Augen ab, obwohl weiterhin neue Tränen nachkamen. "A-aber... aber er ist mein bester Freund! Er kann mich da doch nicht so einfach sitzen lassen! Und dann... dann nicht mal VOR seiner Entscheidung mit mir reden! Es ist ja nicht nur die Entscheidung, es ist, dass er mich überhaupt nicht mit einbezieht!" Er putzte sich geräuschvoll die Nase und warf die gebrauchten Tücher in den Mülleimer, bevor er sich neue herausholte und wieder die Augen abwischte.

"Eben weil er dein bester Freund ist, kann keine Entfernung der Welt euch trennen." Hans-Dieter lächelte Marco an. "Manchmal trennen sich die Wege im Leben, aber nur weil Mario Dortmund verlässt, ist er nicht aus der Welt. Ich verstehe, dass du seine Entscheidung nicht gut findest und auch, dass du es nicht gut findest, dass er dich nicht um Rat gefragt hat. Aber steht die Entscheidung denn schon zu 100 %? Noch hat Mario nirgends unterschrieben. Er zögert. Es fällt ihm auch nicht leicht Dortmund zu verlassen. Wegen dir. Aber er vertraut darauf, dass du es verstehen wirst, wenn er gehen wird. Weil ihr Freunde seid. Seelenverwandte, wie er euch selber genannt hat."

Marco hob mutlos seinen Kopf und zuckte mit den Schutern. "Wenn ich ihm so wichtig bin, wieso redet er dann nicht mit darüber? Wieso geht er einfach? Wieso hört er nicht auf mich und rennt einer Frau hinterher, die ih seit sie sich kennen nur verletzt und benutzt? Ich verstehe das einfach nicht und es zerreißt mich von innen! Ich will ja, dass Mario glücklich ist, aber ... er ist manchmal einfach so naiv, ich will nicht, dass er verletzt wird!"

"Du solltest es verstehen, aber das wird dir nur Mario erzählen können. Sollen wir ihn anrufen, ob er dazu kommen kann?"
Marco sollte entscheiden, ob der Zeitpunkt perfekt war.

Marco zuckte nur mit den Schultern und dachte einen Moment nach. "V-von mir aus... wenn er mich sosehen soll, ich weiß nicht. Wir erzählen uns zwar eigentlich alles, aber so oft hat er mich noch nicht heulend gesehen, ich will nicht, dass er denkt, ich wäre ein Weichei, oder so."

"Ich will dich nicht dazu zwingen", stellte Hans-Dieter klar. "Es ist deine Entscheidung. Ich glaube nicht, dass er denkt, dass du ein Weichei bist. Er weiß, wie du fühlst und Mario hat ja schließlich auch wegen dir geweint. Deine Entscheidung", wiederholte er. "Ich kann ihn gerne anrufen. Du kannst das auch tun, wenn du willst. Oder wir lassen es bleiben. Aber irgendwann müsst ihr miteinander reden. Das bleibt nicht aus."

Marco nickte langsam. "Ja, das hat er... stimmt..." Er atmete tief durch und zog sein Handy aus der Hosentasche.
Viel konnte er nicht schreiben, dafür zitterte seine Hand zu stark, aber Mario würde auch so hoffentlich verstehen, WIE wichtig es war.
"Hey, kommst du zu Didi? Ist wichtig. Mir gehts scheiße. M."

cf: Meer

Mit tränenüberströmtem Gesicht stand er vor dem Zimmer und wollte nur noch zu ihm. Zwar hatte er Angst vor Marcos Reaktion, aber er wollte trotzdem sofort zu ihm. Er haute heftig gegen die Tür und wäre am liebsten sofort hereingerannt.

Hans-Dieter beobachtete Marco während er die SMS schrieb. Er zitterte. Ihn nahm das alles wirklich sehr mit. Aber der Damm war gebrochen und jetzt konnten sich die beiden ohne diese fast schon unbändige Wut aussprechen, die Marco in sich gehabt hat.
Konnte er das mit Mario klären, würde er auch mit Manuel reden können, aber eins nach dem anderen.
Er stand auf und ging zu dem Schrank. Er kam mit einer Dose wieder in der Schokolade und Kekse waren. "Kann ich dir was anbieten?" Er stellte die Dose auf den Tisch und griff selber nach einem Keks. Schokolade half wirklich in solchen Situationen, weil der Körper darauf reagierte und sie schmeckte. Vielleicht konnten sie sich ja so die Zeit vertreiben in der sie warteten.
Im nächsten Moment klopfte es aber auch schon. Das ging ja fix. Hans-Dieter stand auf und öffnete die Tür. Wie erwartet, stand Mario davor. "Komm rein."

Marco sah die Dose mit großen Augen an und griff nach dem größten Stück Schokolade, dass er finden konnte. Er kaute gerade mal einige Sekunden darauf herum, als es sich anhörte, als ob Jemand versuchte, die Tür einzutreten. Er verkrampfte sich und starrte die Schokolade durch den Tränenschleier in seinen Augen an, als Didi Mario hereinbat.

Als Mario vom Psychologen endlich hereingeholt wurde, schob er ihn unsanft ein wenig zur Seite und blieb wie angewurzelt stehen. Marco saß wie ein Häufchen Elend auf dem Sofa und hatte verquollene Augen. Ihn so zu sehen, war wie ein Dolchstoß in sein Herz. Seine Starre hielt nur wenige Sekunden dann stürzte er sich auf seinen besten Freund und zog ihn an sich. Drückte ihn so fest an sich, dass dieser wohl kaum noch atmen konnte. "Scheiße man", flüsterte Mario und er heulte schon wieder.

Hans-Dieter schloss die Tür und setzte sich wieder. Dann beobachtete er die beiden erst mal. Er konnte immer noch eingreifen, wenn er es für richtig hielt. Aber er kam nicht umher zu schmunzeln. Irgendwie waren sie schon süß zusammen.

Marco ließ vor Schreck die Schokolade fallen und sie landete irgendwo in seinem Schoß, als Mario sich förmlich auf ihn stürzte. Er klammerte sich wie ein Etrinkender an den Körper seines besten Freundes und versuchte krampfhaft, nicht schon wieder mit dem Heulen anzufangen, was allerdings nicht so wirklich funktionierte. "I-ich... ich will einfach nicht, d-dass du mich alleine lässt und ver-vergisst, wenn du in München bist", stammelte er unter Tränen und war sich gar nicht sicher, ob Mario auch nur die Hälfte davon verstand.

Marco klammerte sich an ihn und stieß ihn nicht weg. Als er aber einige Bruchstücke von Marcos Worten hörte und sein Gehirn das zusammensetzte, kamen neue Tränen dazu. Das hatte sein bester Freund gedacht? Dass er ihn vergessen würde, wenn er nicht mehr in Dortmund war?
"I-ich... i-ch kann dich niemals vergessen, Marco. Du bist einer der wichtigsten Mensch in meinem Leben und wirst das auch immer bleiben. I-ich... also noch ist überhaupt nicht klar, ob ich jemals gehen werde. Aber für den Fall... du darfst sowas nicht denken. Ich liebe dich ja? Ich... ich kann dich doch nicht vergessen", schluchzte Mario.

Marco schüttelte heftig den Kopf. "S-sag das nicht! Dann... dann mache ich mir nur wieder Hoffnungen, dass du doch bleibst", murmelte er schluchzend. "Ich liebe dich auch und deshalb ist es so schrecklich, wenn du dann so weit weg wohnst! Ich meine, wir sehen uns gerade jeden Tag... und dann?! Kaum noch!"