Teampsychologe

Benni schluckte, setzte sich, zog Julian mit sich auf das Sofa.
"Julian ist hier, weil wir zusammen sind und er mir eine wichtige Stütze ist und in dem ganzen Scheiß irgendwie mit drin hängt", erklärte Benni, hielt Jules Hand immer noch fest umklammert, brauchte diesen Halt.
Er wusste nicht, ob er das allein so einfach überstehen würde.
Er schluckte, sah vorsichtig auf, ein bisschen Unsicherheit flackerte durch seine Augen, als er den Teampsychologen fixierte.
"Und... ja...", murmelte er. "Sie wissen ja, was das Problem ist."
Er wusste, dass er diese Hilfe brauchte, aber es fiel ihm einfach nicht so leicht, sich so zu überwinden. Das alles auszubreiten, einen Seelenstrip hinzulegen. Dr. Hermann war doch etwas anderes, als Julian.

Julian drückte Bennis Hand fest, lächelte ihn aufbauend an. So richtig etwas sagen oder tun konnte er ja nicht.. Er wollte eine moralische Stütze für Benni sein. wenn er ihn brauchte, dann blieb er auch gerne und stand ihm in dieser Situation bei. Für Benni war es ja auch nicht leicht, das alles hier auszubreiten. Und wie Benni schon sagte, hing Julian mit drin in der Sache.
"Ich würd gern bleiben, wenns geht", meinte er dann an Dr. Hermann.

"Sie wissen ja, was das Problem ist."
Hans-Dieter lachte leicht über diese Worte. "Nein, Benedikt, das weiß ich nicht. Genau das musst du mir erzählen." Dann sah er rüber zu Julian und wieder zurück zu Benedikt. "Um euch zu beruhigen, ich habe nichts gegen euch beide. Und es ist dir, Benedikt auch anzusehen, dass du Julian brauchst. Es ist aber wichtig, dass du vor ihm auch vollkommen offen sein kannst, sonst hat das keinen Sinn. Ich werde es vorerst tolerieren, dass er hier ist, weil ich ja noch gar nicht weiß, worum es eigentlich geht. Aber bitte seid mir nicht böse, wenn der Moment kommt, an dem ich Julian bitte den Raum zu verlassen."
Er machte eine kleine Pause. "Nehmt euch ruhig etwas zu trinken, wenn ihr wollt. Und jetzt frage ich mal ganz direkt: warum hast du versucht dich umzubringen?"

Benni schluckte schwer, atmete tief durch.
Es kostete ihn Überwindung, so unglaublich viel Überwindung und er spürte, wie seine Hände leicht zitterten. Unruhig wanderte sein Blick durch den Raum, er konnte sich auf nichts fixieren, und er drückte Julians Hand fest.
Dass ihr Teampsychologe etwas gegen sie hatte, hätte er auch sehr bezweifelt, und er musste völlig offen sein.
Er biss sich auf die Lippe, seine Augen fixierten sich jetzt auf einen Punkt an der Wand.
"Ich... das ist ne lange Geschichte. Aber... ich hatte mich überhaupt nicht mehr im Griff. Hab völlig die Fassung verloren. Es war so... abartig. Ich fand mich widerlich. Finde ich noch immer."

Hans-Dieter musterte Benedikt, während er sprach. Er war mehr als nervös und die Situation behagte ihm nicht.
"Benedikt, bist du nur hier, weil du es musst oder auch, weil du es willst?" Diese wichtige Frage musste geklärt werden.
"Ich hab Zeit und höre mir deine lange Geschichte gerne an", aufmunternd sah er Benedikt an.

"Beides, glaub ich", gab er zu. Er fühlte sich plötzlich ganz klein, das war doch noch etwas anderes, als das ganze mit Julian oder Lisa zu besprechen.
Bei beiden konnte er ganz offen sein, die kannten ihn, besser als er selbst teilweise sogar. Aber der Teampsychologe war doch etwas anderes.
"Von ganz vorne oder nur... die Kurzfassung?" fragte er, zwang sich jetzt, seine selbstbewusste Ausstrahlung wieder aufzusetzen.
Er fixierte dne Punkt an der Wand, straffte seine Schultern.
Es war Fassade und hätte er nicht Julians Hand, die seine hielt, wäre ihm das wohl nicht möglich.

Hans-Dieter runzelte die Stirn über Benedikts veränderte Körperhaltung. Aber er ließ ihn erst mal machen.
"Benedikt, ich sollte dir vielleicht vorher eines sagen. Egal, was in diesem Raum passiert, es wird nie jemand etwas davon erfahren. Es ist wichtig, dass du völlig offen mit mir redest. Du kannst mir vertrauen und brauchst keine Angst haben. Ich verurteile dich auch nicht wegen irgendetwas. Und ich muss alles wissen. Du musst mir alles, was mit diesem Selbstmordversuch zusammenhängt, erzählen. Sonst brauchen wir hier nicht zu sitzen."
Es war wichtig, dass er so ernst mit Benedikt sprach und ihm aufzeigte, wie es war. "Also keine Kurzfassung. Wir haben alle Zeit der Welt. Mach dir keine Sorgen wegen irgendetwas und wenn du Sorgen hast, dann sag mir, welche das sind, damit ich sie dir nehmen kann."

"Sag ihm ruhig alles", flüsterte Julian Benni leise zu, drückte Bennis Hand fest. Sie hatten beide Fehler gemacht und Dr. Hermann musste sie alle wissen, damit er Benni helfen konnte. Das war das Wichtigste überhaupt. Es musste Benni besser gehen und er musste wieder gesund werden. Dazu brauchte er diese professionelle Hilfe. Alleine würden sie das nicht schaffen.
"Wir brauchen die Hilfe..."

Benni war wirklich froh für den Rückhalt, den Julian ihm gab.
"Also... ich weiß nicht genau, womit es angefangen hat, aber... Jule hat Schluss gemacht", murmelte Benni.
Er wich trotz allem immer noch Dr. Hermanns Blick aus, schämte sich für das, was er getan hatte.
"Ich war... völlig aus der Bahn geworfen und... dann kam da noch...", er zögerte einen Moment. Verkniff sich gerade so, Marcos Namen zu erwähnen. "Ein Freund von mir, der mir erzählt hat, dass er Jule mit... einem anderen Freund erwischt hat."
Er schluckte. Noch klang das alles wie ein Beziehungsdrama. War im Grunde auch eins.
Seine Hand krampfte sich um Julians.
"Und dann... ich hab mit ihm geschlafen, ich war so wütend und dann war Jule plötzlich im Raum und..."
Er konnte nicht weitersprechen, fing stumm an zu weinen. Er vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte.

Stummt schob Hans-Dieter die Taschentücher-Box über den Tisch und schüttete beiden ein Glas Wasser ein. Er selber trank auch einen Schluck.
"Lass die Gefühle raus, Benedikt, es ist okay. Es wird dir helfen. Sprich weiter, wenn du dich dazu bereit fühlst", sagte er sanft. Er wollte ihn nicht unter Druck setzen, das war das letzte, was er wollte und es war vor allem nicht das richtige.

Dankbar griff Benni nach einem Taschentuch und schnäuzte sich, dann zang er sich, weiterzusprechen.
"Ich hab... ihn gezwungen, zuzusehen", flüsterte er kaum hörbar. Seine Stimme zitterte und er konnte sich einfach nicht beherrschen. Schluchzte hemmungslos, rutschte dabei auch gleich ein Stück näher an Julian, er brauchte diesen Halt jetzt.
Heiser sprach er weiter, er fixierte jetzt stur einen Punkt am Boden, wollte nicht weitersprechen, aber er zwang sich dazu, er musste sich diesen Dämonen stellen.
"Ich hab ihn aufs Bett gezogen und... ich habs genossen, zu sehen, dass er so Angst hatte. Irgendwie bin ich... dann ins Bad, er... hat geweint und ich fand... finde mcih immer noch so abartig. Ich wollte einfach nur sterben. Ich bin immerhin ein widerliches Monster."

Auch Julian verkrampfte sich, als er Bennis Worte hörte und unweigerlich kamen ihm wieder die Bilder in Erinnerung. Zuhören, dass Benni es wirklich genossen hatte... dass er gewollt hatte, dass er Angst hatte... Das war alles andere als schön zu hören. Das, was passiert war, war schrecklich und er würde es sicherlich nicht vergessen können.
Er drückte Bennis Hand fest, bemühte sich, zumindest nach außen ruhig zu sein. Auch wenn es schwer sein. Aber Benni brauchte jetzt auch diesen Halt.

Hans-Dieter wusste nicht, ob ihn das schockieren sollte oder nicht. Er hatte Benedikt nie so eingeschätzt, aber hatte nicht jeder Mensche eine Art schwarze Seite in sich?
Es war aber gut, dass Benedikt gleich seine eigene Sicht auf die Dinge schilderte. Allerdings sagte er, dass er ein Monster war in der Gegenwart. Er sah sich immer noch so. Aber trotz allem war Julian an seiner Seite. Das war erstaunlich. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, wenn er auch da war. Hans-Dieter fragte sich, ob auch hier eine Therapie nötig war.
Eigentlich war er ja in erster Linie Sportpsychologe. Motivation hervorbringen, Leistungsdruck nehmen, Selbstbewusstsein steigern... das waren seine Hauptaufgaben - grob genommen. Aber auch das hier würde er meistern und er wusste, dass er es musste.
"Julian scheint dir aber dein Verhalten verziehen zu haben... oder warum sitzt du hier, Julian? Was ist zwischen euch beiden danach passiert?" Er musste erst die Fronten klären. Sonst war es schwer das Problem anzugehen.

"Ich bin hier, weil ich ihm verzeihen will... und zum Teil schon habe." Noch nicht ganz. Das würde wohl noch etwas brauchen, bis er das geschafft hätte. Da konnte diese Therapie auch weiterhelfen, dass sie es schafften. Sie mussten das alles aufarbeiten. Dann könnte er Benni wohl auch ganz verzeihen.
"Nach dieser Sache... bin ich abgehauen... hab geduscht... gefühlt ein paar Stunden lang. Bis Max gekommen ist und dann hat Lukas angerufen und gesagt, dass Benni sich umbringen wollte... Ich bin dann so schnell wie möglich ins Krankenhaus,weil ich mir echt Sorgen gemacht hab..."

Benni schluchzte.
Er war sich wirklich sicher, dass er das richtige tat, aber trotzdem fiel es ihm so wahnsinnig schwer, darüber zu reden.
Er versteckte sein Gesicht in Julians Schulter, zitterte.
Er ließ Julian erzählen, ließ ihn seine Fassung berichten, bevor er wieder an die Reihe kam.
"Ich... hab den Spiegel zerschlagen", berichtete Benni weiter, mit zitternder Stimme, zitternden Händen, er wollte am liebsten weglaufen, aber Julian gab ihm genug Kraft, hier zu bleiben und das durchzuhalten.
"Un dann... der Schmerz hat so gut getan... ich hab mir meinen Arm aufgeschnitten, das Gefühl war einfach so erleichternd... und der Gedanke, zu sterben, so verlockend."

Es war nicht selbstverständlich, dass Julian Benedikt verzeihen wollte und sogar schon angefangen hatte damit. Hans-Dieter lächelte über diese Tatsache. Julian musste viel für den anderen empfinden.
"Es ist erstaunlich, dass du hier bist, Julian. Das würde nicht jeder tun. Das ist eine ganz große Geste. Und du, Benedikt, solltest das zu schätzen wissen", er lächelte erst den einen und dann den anderen an.
"Aber, Benedikt, du musst eins wissen... der körperliche Schmerz überdeckt vielleicht den seelischen Schmerz für ein paar Minuten, vielleicht auch für ein paar Stunden, aber das macht es nicht besser. Dadurch vergeht der seelische Schmerz nicht. Ich weiß, ich habe vermutlich gut reden, aber es ist wirklich so."
Er machte eine kurze Pause.
"Ich nehme ab, dass war die ganze Geschichte? Es war also dein Verhalten, dass dich schockiert hat, Benedikt, sehe ich das richtig? Was hat dich denn dazu getrieben, dass du so gehandelt hast? Kannst du das in Worte fassen?"

Hilflos zuckte Benni mit den Schultern.
Er wüsste es ja selbst, würde es gerne besser verstehen.
Er war wirklich froh, dass Julian an seiner Seite war, dass er ihn hatte, dass er ihn so sehr liebte, wie er es tat.
"Ich war so... wütend."
Das war wohl das bestechendste gewesen, was er in diesem Moment gefühlt hat.
"Meine ganze Welt ist zusammmengebrochen... dabei hatten wir uns gerade wieder versöhnt. Und dann... dann war da Julian plötzlich mit... einem Freund von uns."
Da war seine Welt endgültig zerbrochen, alles hatte so falsch gewirkt.
"Ich war so wütend, und... der Sex hat mich nur noch mehr aufgewühlt, noch wütender gemacht und... ich war so verletzt."
Es kostete ihn Mühe, das alles in Worte zu fassen, er sprach leise und zögerlich, seine Augenbrauen leicht gerunzelt, es war eine Überwindung, sein Denken zu analysieren. Aber er tat es dennoch, wusste, dass es sein musste.
Er umschloss Julians Hand jetzt mit beiden Händen, strich nachdenklich über sein Handgelenk. Etwas fehlte.
Sein Blick war auf den Boden gerichtet, er schämte sich seines Verhaltens und konnte niemandem in die Augen sehen.

Hans-Dieter nickte nachdenklich. Dass Benedikt seine Gefühle in Worte fassen konnte, war gut. Das half allen Beteiligten im Raum.
Es schien als war das wirklich eine einmalige Sache. Benedikts Gefühlte hatten sich selber aufgebauscht und dann war diese Tat daraus entstanden. Eine Tat, die er selber bereute.
Der Psychologe holte tief Luft, er musste erst mal überlegen, wie er das ganze am besten anging.
"Es war also eine Kurzschlussreaktion und nichts geplantes? Weißt du, Benedikt... du darfst dich nicht als Monster sehen. Es war mit Sicherheit alles andere als richtig, was du getan hast, aber es war eine Kurzschlussreaktion und du bereust es. Außerdem war es einmalig. Verurteile dich nicht dafür. Nimm es hin, wie es ist. Du musst es ja deswegen nicht gut finden, aber du musst es akzeptieren. Reue zeigen und du musst dir selber vergeben. Julian hat es doch auch getan, oder tut es. Du musst es auch können. Es ist wichtig, dass du einsiehst, dass es falsch war - aber das hast du ja schon."
Er machte eine Pause und trank einen Schluck. "Dieser Schritt, es zu akzeptieren und damit zu leben ohne sich permanent die Schuld zu geben, ist schwer. Er muss nicht heute passieren und auch nicht morgen. Aber du musst ihn gehen. Du musst so etwas wie einen inneren Frieden mit dir finden, damit du dir vergeben kannst und mit Julian weiter unbeschwert leben kannst. Irgendwann darf das keine Rolle mehr für dich spielen. Dann ist es nur noch ein dunkler Punkt in deiner Vergangenheit."
So viel vorweg. Benedikt sollte dies wissen und Julian auch.
"Du hast gesagt, du hast Julian aufs Bett gezogen. Was hattest du in dem Moment vor und warum hast du damit aufgehört? Oder wie wurde die Situation unterbrochen?"

Benni nickte.
Eine Kurzschlussreaktion, das war es gewesen. Er hatte nicht von langer Hand geplant, sich umzubringen. Eher im Gegenteil, er hatte überhaupt nicht darüber nachgedacht.
Er lauschte Dr. Hermanns Worten und... sie klangen so plausibel.
Sie leuchteten ein, machten ihm Mut.
Er spürte, wie sich seine Gesichtszüge ein wenig glätteten, er wusste, dass der Doc Recht hatte. Es stimmte, er musste es lernen, damit umzugehen, aber er musste auch sich selbst vergeben können.
Er schluchte schwer, schlug die Augen nieder.
Es klang so leicht, und gleichzeitig war es ein so schwerer Prozess, so furchteinflössend, eine solch abstossende Tat zu akzeptieren.
"Ich wollte... ihm wehtun", flüsterte er schwach, löste seine Hände jetzt von Julians. Es war nicht leicht, so etwas zuzugeben, und er konnte dabei nicht Julians Hand halten, als ginge es um etwas völlig Banales.
"Ich wollte ihm wehtun, und... gleichzeitig auf irgendeine verquere Art zeigen, dass... ich ihn liebe."
Er stockte. Warum hatte er aufgehört?
"Er hat geweint."
War das der Grund? Bennni wusste es nicht.

Julian ließ Bennis Hand aus seiner gleiten, sah ihn nur ruhig an. Wenn Benni diese Nähe grad zu viel war, dann war es in Ordnung. Er hoffte dafür, dass Dr. Hermanns Worte etwas bewirken konnten. Er hatte ja recht. Es war eine Kurzschlussreaktion gewesen. Eine einmalige Sache. Und wenn Julian ihm verzeihen konnte, dann konnte Benni es auch. Er musste es können. Mit dieser Last könnte er niemals gut leben. Er musste es irgendwie akzeptieren können.
"Du hast aufgehört, weil du mir das nicht antun konntest", flüsterte Julian, legte behutsam eine Hand auf Bennis Rücken. "Du hast eingesehen, dass das vollkommen... verrückt war. Deswegen hast du aufgehört. Du bist ja kein böser Mensch."

Es tat ihm sichtlich gut, dass über die Sache geredet wurde, aber die eigene Einsicht schien Benedikt zu treffen.
"Deine Gefühle waren also trotz allem da und ob wohl du ihm schaden wolltest, wolltest du ihm gleichzeitig zeigen, dass du ihn liebst. Auf gewisse Weise grotesk, aber auch verständlich. Benedikt... ein Monster hätte weiter gemacht, wenn es die Tränen gesehen hätte. Du hast aufgehört. Du bist kein Monster. Du hast Gefühle für Julian, du liebst ihn. Ein Monster kann solche Gefühle nicht haben."
Er lächelte beide einmal an. Es war ihm nicht entgangen, dass Benedikt seine Hand aus Julians gezogen hatte, aber diesen schien das nicht zu stören. Es war bewundernswert, wie er mit der Situation umging.
"Julian hat Recht, du bist kein böser Mensch. Nur, weil man mal einen Fehler macht, ist man deswegen kein böser Mensch. Jeder Mensch hat seine Macken und Fehler. Menschen sind nicht perfekt. Egal ob Fußballer, Koch, Model, Bundestrainer oder Teampsychologe", Hans-Dieter lächelte leicht.
"Es ist eine Kunst die Fehler, die wir machen einzusehen und aus ihnen zu lernen. Viele können das nicht. Selbst, wenn sie sie einsehen, heißt das nicht, dass sie aus ihren Fehlern lernen. Und genau das ist der Punkt, den wir erreichen wollen. Du sollst deinen Fehler nicht nur einsehen, du sollst auch aus ihm lernen und vor allem lernen mit ihm zu leben."

Benni nickte schwach.
Er verstand alles, sein Kopf speicherte alles ab, was er sagte, registrierte es und sah es als vernünftig und logisch.
Er wusste es eigentlich.
Er konnte es nur nicht umsetzen.
"Ich hab Angst", gestand er jetzt, seine Hände zitterten. Was er getan hatte, machte ihm Angst. Würde ihm wohl sein restliches Leben Furcht einflössen und wenn er nichts dagegen tat, würde es ihn auffressen.
"Ich hab Angst, dass ich wieder so die Kontrolle verliere."
Wenn das passieren würde, wenn er erneut einen geliebten Menschen so sehr verletzte, dann würde er kein Recht zu leben haben.
Er war ein Monster, dass er dazu fähig war.
"Aber es ist abartig, dass ich... zu so etwas fähig war."

"Benedikt, denk an etwas zu essen, was du nicht magst, was du wirklich widerlich findest. Du hast es probiert, gekaut und runter geschluckt. Aber einmal und kein zweites Mal. Es ist der natürliche Instinkt des Menschen etwas, was wir abartig - um es mit deinen Worten auszudrücken - finden, anzulehnen und es nicht zu wiederholen."
Würde er es wiederholen, hatte Benedikt ein ganz anderes Problem, aber Hans-Dieter wollte ihm keine Angst machen. Außerdem war das nicht der Fall, da war er sich sicher. Benedikt würde diese Tat nicht wiederholen.
"Du liebst Julian doch und willst sicher nur das beste für ihn. Ich nehme an, die hast in dem Moment auf dem Bett die Angst in seinen Augen gesehen. Er hatte Angst und war verunsichert, weil er dich so nicht kannte... Julian, sag ihm, wie du dich in dem Moment gefühlt hast. Beschreib es ihm so gut es geht und hör nicht auf bis du fertig bist."
Er sah den Jungen eindringlich an. Das war jetzt wichtig. Es war wichtig, dass Julian mitmachte.
"Benedikt, du hörst es dir an. Du wirst nicht gehen. Vermutlich wird Julian dich damit quälen, aber du sollst wissen, das du in dem Moment in ihm ausgelöst hast."
Die Gefühle, die Julian Benedikt in dem Moment offenbart hat, haben ihn dazu veranlasst sich vor sich selber zu ekeln und sein Verhalten abartig zu finden. Es brachte mehr, wenn Julian ihm dies jetzt vor Augen führte, als wenn Hans-Dieter selber Möglichkeiten aufzählte, wie er sich gefühlt haben konnte.
Abwartend sah er die beiden an. Wie würden sie mit dieser Art der Konfrontation umgehen? Vor allem Benedikt.

"Ich...", begann Julian, stockte aber sofort wieder. Er konnte das Benni doch nicht alles an den Kopf knallen. Der war noch viel zu labil. Aber wenn der Doc es sagte... Vielleicht half es auch was. Eine Art Schocktherapie oder so.
Er sah Benni fest an, holte tief Luft.
"Ich hatte richtig Angst. Ich bin zu dir gekommen, weil ich mich entschuldigen wollte und weil ich eingesehen hab, dass ich nen riesigen Fehler gemacht hab. So wie du vorher auch oft Fehler gemacht hast und ich es dir dann gleich verziehen hab. Ich... hab gedacht... oder zumindest gehofft, dass es genauso sein würde. Und dann bin ich ins Zimmer... und du... warst so!"
Er atmete tief durch, versuchte weiter, die richtigen Worte zu finden.
"Mir ging es ja nicht drum, dass du was mit... ihm... hattest. Das war scheiße, aber ich habs ja noch bis zu nem gewissen Punkt verstanden. Nur dein Verhalten mir gegenüber hat mir totale Angst gemacht. Wie du mich angesehen und geküsst hast... Das war alles so kalt und abfällig. Und zwar wirklich abfällig. Ich hab mich gefühlt wie ein Stück Dreck und genau so hast du mich auch behandelt und ich glaube... in dem Moment war ich das auch wirklich für dich! Ich hatte wirklich Angst vor dir. Ich hab dich überhaupt nicht wiedererkannt... Du warst nicht so wie sonst. Und in dem Moment war ich mir auch nicht sicher, ob du nicht doch weitergehen würdest."
Er atmete tief aus, als er geendet hatte. Das dürfte alles von seiner Seite aus gewesen sein. Glaubte er mal.

Kraftlos sackte Benni in sich zusammen. Jedes von Julians Worten war wie ein Schlag mitten ins Gesicht, es tat unglaublich weh und gleichzeitig wusste Benni, dass er es verdient hatte, anstatt sich zu wehren hielt er bereitwillig noch die andere Wange hin.
Julian traute ihm zu, dass er in dieser Situation weitergegangen wäre.
Dass er... seinen eigenen Freund vergewaltigt hätte, wenn die Situation so weiter gegangen wäre.
"Du warst nie nur ein Stück Dreck", flüsterte er tonlos.
"Du warst viel mehr als das. Du warst... der wichtigste Mensch in meinem Leben."
Er schluckte.
Es tat so unglaublich weh, aber er konnte nicht einmal mehr weinen. Nur eine dumpfe Resignation breitete sich in ihm aus.
Wer war er, dass er Julian dazu brachte, solche Dinge zu fühlen?
Das durfte nicht sein.