Teampsychologe

Auch Dr. Hermann schien geschockt von den Schlagzeilen. Schrecklich. Das war es wirklich. Julian hoffte nur, dass er ihnen irgendwie helfen konnte. Bestenfalls präsentierte er ihnen eine Lösung auf dem Silbertablett, mit der alles wieder gut war. Nur vermutlich gab es diese Lösung nicht.
Beruhigen war leichter gesagt als getan und ohne Benni würde er sicherlich total durchdrehen.
"Ich hab nur keine Ahnung, was jetzt mit uns passiert. Und da ist es schwer, sich zu beruhigen."

"Ich weiß, dass es schwer ist", schmunzelte Hans-Dieter und überschlug sein linkes Bein mit dem rechten. "Eine richtige Lösung des Problems zu finden ist natürlich nun schwierig", begann er. "Zunächst einmal müsst ihr euch vielleicht selbst klar werden, was ihr beiden möchtet." Er sah sie ernst an. "Es gibt nämlich genau 3 Möglichkeiten. Wobei... die dritte Möglichkeit ist für euch vermutlich keine. Und ich würde euch von Möglichkeit Nummer 3 auch abraten. So, wie ich euch hier beide vor mir sehe..." Ein Lächeln schlich sich wieder auf seine Lippen. Die Kraft der Liebe war einfach wunderschön.

Benni seufzte.
Es war leichter gesagt als getan, in ihrer Situation die Ruhe zu behalten. Zumindest Benni wusste nicht so Recht, wie er das tun sollte.
"Welche drei Möglichkeiten?" hakte er nach, zwang sich ruhig zu bleiben und nicht in Panik zu verfallen. Auch wenn er gerade durchaus Lust dazu hätte, hysterisch schreiend im Kreis zu rennen. Aber Didi hatte Recht, das brachte ihnen auch nichts.

Hans-Dieter nahm sich das Glas Wasser und schwenkte es nachdenklich hin und her. Er wusste nicht, ob er den beiden jungen Schalkern jetzt schon zumuten konnte, was sie nun tun könnten. Es ging hier um das Leben von zwei jungen Männern, zwei Profikarrieren und zwei Liebesbeziehungen. "Ich möchte, dass ihr euch an die Hände fasst und euch Kraft gebt. Habt gleichzeitig positive Gedanken, auch wenn es euch schwer fällt." Er machte eine kurze Pause und tank noch einen kurzen Schluck aus seinem Wasserglas.
"Möglichkeit 1 wäre, ihr macht es wie bisher. Eine versteckte Beziehung, wir dementieren alles. Ihr haltet euch in der Öffentlichkeit zurück, habt aber eure versteckte Beziehung. Ich weiß nich, in wie weit wir das mit dem Dementi hinbekommen, aber es wäre einen Versuch wert." Kurz machte er eine Pause.
"Alternative 2 wäre ein Outing. Wir gehen mit euch an die Öffentlichkeit, ihr seid die mit den anderen die ersten schwulen Fußballer. Die dritte Möglichkeit... nene, das lassen wir besser."

Julian drückte fest Bennis Hände, brauchte diesen Halt auch. Er sah ihn fest an und für einen Moment konnte sich ein Lächeln auf sein Gesicht schleichen.
Er war froh, dass er Benni hatte und mit ihm würde es sicherlich leichter gehen.
Aber sie mussten jetzt auch ernsthaft überlegen, wie es weitergehen könnte. Möglichkeit 1 schied wohl aus.
"Ich glaub nicht, dass ein Dementi funktioniert. Und Möglichkeit 3 wäre... eine Trennung?", mutmaßte er, schluckte schwer und sah Benni ernst an.
"Du hättest Lisa und das Baby... wenn wir sagen, dass die Initiative von mir ausging, glaubt man dir das vielleicht und du könntest normal weitermachen."
Diese Lösungsmöglichkeit gefiel ihm nicht wirklich. Aber er liebte Benni und wollte ihn glücklich sehen. Er liebte ihn so sehr und für Benni würde er alles tun.
"Nicht, dass es mir gefallen würde... Aber ich will dir die Möglichkeit nicht nehmen."
Auch wenn er nicht damit rechnete, dass Benni es annehmen würde. Bisher hatte Benni doch auch immer zu ihm gestanden.

"Und das alles im Nachhinein als eine... kurze Phase herunterspielen?"
Er schwieg eine ganze Weile, sah Julian nur ernst an. Natürlich war der Gedanke schon irgendwie verlockend. Er könnte sein ganz normales Leben weiterleben, mit Frau und Kind. Aber er wusste genau, dass er das nicht durchhalten würde.
"Nein... nein, das kommt nicht in Frage. Damit würde ich dich ja ganz allein dastehen lassen. Das mach ich nicht. Egal, wie wir das angehen, wir machen es zusammen."
Es war viel zu viel passiert, was sie im Endeffekt alles nur so eng zusammen geschweißt hatte, dass sie es gar nicht mehr ohne einander aushielten.

Hans-Dieter sah die beiden Schalker genau an und nickte, als Julian über die Möglichkeit Nummer 3 sprach. "Ich habe diese Möglichkeit auch nicht ernsthaft in Betracht gezogen", erklärte er ruhig und sah in das Wasser, bevor er wieder aufsah. "Ich weiß, dass ihr beide euch liebt und ich habe ebenfalls erlebt, was es für euch bedeutet, wenn ihr nicht zusammen seid. Aus medizinischer Sicht ist es nicht zu verantworten, dass ihr euch trennt. Aber es ist natürlich eure Entscheidung."

Julian lächelte, als Benni diese Möglichkeit so kategorisch ausschloss. Ihm hätte es auch nicht gefallen. Aber für Benni würde er wohl alles machen, wenn es ihn nur glücklich machte.
Aber wenn es aus medizinischer Sicht nicht zu verantworten war, dass sie sich trennten, sollten sie das wohl auch nicht in Betracht ziehen.
"Wir ziehen das zusammen durch", entschied sich Julian endgültig. "Und mit den Konsequenzen müssen wir dann eben leben. Wir können das mit einem Dementi versuchen. Nur weiß ich nicht, ob es war bringt."

Hans-Dieter lächelte. "Also wollt ihr beide Möglichkeit Nummer 2 in Betracht ziehen", meinte er und stellte das Wasserglas ab. Innerlich freute er sich über den starken Willen, den Julian und Benedikt an den Tag legten. "Ihr seid zwei mutige, junge Menschen", schmunzelte er und sah ruhig zwischen ihnen beiden hin und her. "Ich muss euch trotzdem warnen. Ihr kennt die Gesellschaft in der wir leben. Schwulsein ist für 'normale' Menschen", er betonte besonders das Worte 'normal'. Zwar waren die beiden Schalker nicht anders, trotzdem war es wohl für sie etwas besonderes. "Schwule Fußballer sind aber etwas besonderes", sagte er ruhig. "Ihr müsst euch darüber im Klaren sein, dass eure Karriere einen Knick bekommt. Oder eventuell ganz zu Ende ist. Ist euch das bewusst?"

Benni seufzte.
"Ja, schon klar... der Punkt ist halt nur, uns bleibt nicht wirklich was anderes übrig."
Und ihm war seine Beziehung dann eben doch wichtiger als der Fußball. "Weil... wenn wir es dementieren, wird es verdammt schwierig, so eine Beziehung aufrecht zu erhalten und das will ich nicht riskieren."

"Genau das fürchte ich auch", seufzte Jule und drückte fest Bennis Hand. Sie konnte alles dementieren. Aber dann würde man sie genau beobachten und dann könnte jeder Blick zwischen ihnen zu viel sein.
"Ich will nicht, dass meine Karriere vorbei ist. Aber ich will das hier auch nicht aufgeben."

Hans-Dieter konnte die Nervosität der beiden Schalker fast greifbar spüren. Sie klammerten sich aneinander und saßen wie zwei verschreckte Hasen auf dem Sofa. Er musste ihnen dringend die Angst nehmen.
"Ihr müsst die Beziehung aufrechterhalten. Das wird vermutlich nur gehen, wenn ihr an die Öffentlichkeit geht", stellte er fest. Er stellte die Füße nebeneinander auf den Boden und sah sie ernst an. "Ihr sollt wissen, dass ich und der DFB immer hinter euch stehen werden. Wenn ihr das wollt, dann werden wir gemeinsam einen Plan für das Outing machen und euch schützen, wenn ihr Schutz braucht."

Benni nickte langsam. Etwas anderes blieb ihnen im Anbetracht der Situation wohl wirklich nicht übrig, damit hatte er schon gerechnet, als er das Video gesehen hatte.
"Dann... müssen wir das wohl machen", murmelte er und drückte Julians Hand fest und haltsuchend.
"Hoffentlich vor allem der Verein", murmelte er.
Das war ihm viel wichtiger. Auf die Nationalmannschaft konnte er auch verzichten, aber er wollte um jeden Preis weiter für Schalke spielen.

Der Verein sollte natürlich auch zu ihnen stehen. Das war ganz besonders wichtig. DFB-Spiele hatte sie nur ein paar Mal im Jahr. Beim Verein waren sie das ganze Jahr über.
"Und wie kann so ein Schutz aussehen?"
So recht konnte er sich noch gar nichts darunter vorstellen, wie es nun weitergehen würde und was auf sie zukam. Er hatte sich auch nie weiter damit beschäftigt, jedenfalls nicht im Detail. Er hatte nur gewusst, dass er schwer werden würde, wenn es jemals herauskam.

Hans-Dieter lächelte und goss sich das Wasserglas wieder voll. Er nahm es und trank abermals einen großen Schluck. Dann deutete auch er auf die noch unbenutzten Gläser auf dem Tisch. "Trinkt doch etwas, das beruhigt die Nerven etwas."
Bei Julians Frage dachte er nach. Es war ja auch für sie etwas komplett Neues. "Eine Musterlösung haben wir natürlich auch noch nicht", erklärte er vorsichtig. "Immerhin haben wir das auch noch nicht durchgemacht. In erster Linie bleibt ihr natürlich in psychologischer Betreuung. Darüber hinaus könnte man sicherlich Fanprojekte starten. Vorurteile entstehen nämlich immer da, wo sich Fans nicht auskennen. Fremdenhass gibt es auch in den Gebieten Deutschlands am Häufigsten, wo es wenig Ausländer gibt..."

Benni nickte nachdenklich.
"Das... klingt gut", musste er zugeben. Das klang wirklich nach etwas, was man machen konnte. Vor allem für die Betreuung war er äußerst dankbar, das konnten sie wohl wirklich brauchen. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie sich das alles jetzt auswirken würde. Vor allem im Verein, er wusste ja immerhin, dass die Schalker Fans nicht die Allernettesten waren.

"Kann man machen, denk ich..."
Etwas mussten sie ja tun und eine bessere Lösung fiel ihm auch nicht ein.
"Hat Manu nicht überlegt, ob er sich outen soll? Und ein paar andere auch?"
Das wäre doch prima. Das würde die Aufmerksamkeit von ihnen weg lenken. Manu war bekannter als sie. Auf den sollte man sich stürzen.
"Vielleicht... lässt sich das ja einrichten, dass sich mehr Spieler outen."

Hans-Dieter hörte den Übermut in der Stimme des jungen Schalkers. "Es ist die Entscheidung jedes Einzelnen, Julian", sagte er sanft, aber eindringlich. "Ihr beide habt euch für ein Outing entschieden, dann müsst ihr notfalls auch allein dadurch. Wenn Manu oder ein anderer sich euch anschließen möchte, ist das sicher hilfreich. Aber ihr dürft niemanden dazu drängen oder überreden. Das muss jeder selbst entscheiden. Bitte überlasst die Entscheidung jedem, ja?"

"Zumindest fragen können wir mal", meinte Benni. Er hoffte, dass sich irgendwer dazu bereiterklärte, ihnen beizustehen. Ansonsten würde sich nun zeigen, wie es tatsächlich werden würde.
Er hatte eine Heidenangst vor dem, was passieren würde. Hoffentlich würde es gut laufen. Hoffentlich...

Zumindest Manu sollte sich auch outen. Der war doch quasi schuld an allem. Immerhin hatte der Jule erst provoziert, dass der sich so an Benni rangeschmissen hatte. Dann sollte Manu auch dazu stehen.
"Wir haben uns gar nicht dafür entschieden! Wir sind da nur reingerutscht."
Wegen Manu.
Er hatte so eine Angst und wenn sie mehr waren, würde es sicherlich leichter werden.

Hans-Dieter merkte, wie zumindest bei Julian die Stimmung ein wenig kippte. Er wünschte sich, dass Benedikt seinen Freund ein wenig beruhigte, doch vermutlich brauchte auch der Kraft. So ganz verstand er allerdings nicht, warum Julian so reagierte. "Wie ist das alles passiert?", fragte er deshalb nach. "Wie hat die Presse davon erfahren? Und wie konnten diese Bilder überhaupt entstehen?" Fragend sah er zwischen Julian und Benedikt hin und her. Er musste auf jeden Fall mehr über alles wissen, damit er die richtigen Schlüsse ziehen konnte.

Benni zog Julian in seine Arme, wollte ihn ein wenig beruhigen. Aber so wirklich schaffte er das auch nicht, viel zu verwirrt war er gerade im Moment.
"Naja... das wüsst ich selber ganz gern", meinte Benni resigniert. Dass sie im Speisesaal rumgeknutscht hatten war sicherlich nicht klug gewesen. Aber wie das an die Öffentlichkeit geraten war, wusste er auch nicht. Konnte er sich auch nicht vorstellen.
"Irgendjemand muss uns gesehen haben..."

"Manu war dumm und ist völlig ausgetickt und wollte uns auseinander bringen! Aber das hat er nicht geschafft und deswegen haben wir rumgeknutscht. Also ist er schuld!"
Jetzt wurde er vermutlich wieder kindisch. Aber es war so viel leichter, die Schuld von sich zu schieben und Manu bot sich dafür gerade an.
"Vielleicht war Manu das auch selber mit den Bildern."

Uuuuuuund eine Petz-SMS für Benni

Dieser Reus-Wichser hat mich geschlagen!

Hans-Dieter breitete die Arme aus und mahnte um Ruhe. "Julian", bat er sanft. "Bitte beruhige dich. Wir müssen da jetzt wie drei erwachsene Männer drüber sprechen bitte." Die kurze Sprechpause nutzte er für einen kurzen Schluck Wasser, bevor er sich einmal durch die Haare raufte. Das war doch alles so verzwickt.
"Was ist mit Manuel passiert?", fragte Hans-Dieter ruhig. "Aber egal, was er gemacht habt. Er war an eurem Kuss nicht beteiligt, das seid ihr beide schon allein gewesen. Schiebt also bitte nicht die Schuld auf andere. Außerdem..." Seine Stimme wurde ein wenig scharf. Bei solchen Sachen war auch er sehr empfindlich. Immerhin würde so etwas innerhalb des Teams nicht passieren. "Manuel ist dein Teamkollege, Julian. Und war oder ist sehr gut mit Benedikt befreundet. Glaubst du er würde so etwas für euch wollen? Glaubst du er würde euch die Hölle wünschen, wenn er selbst auch schwul ist?" Er schüttelte den Kopf.