Hotelrezeption

Er war sich bewusst, dass der Trainer ihn musterte. Hoffentlich standen seine Haare nicht wieder in alle Himmelsrichtungen ab. Das wäre ja nichts Neues. Wenn er sich Sorgen machte, fuhr er sich ständig durch die Haare. Emma hatte sich schon viel zu oft darüber lustig gemacht. Und doch konnte er das eben nicht abstellen. Moment…Er dachte darüber nach, wie seine Haare lagen? Das war doch total bescheuert. „Tja…eh…ich…wollte meine Tochter besuchen. Emma. Sie kennen sie doch bestimmt, oder?“ Er hätte sich gegen die Stirn schlagen können. Was tat er hier?

Der Spanier fuhr sich durch die Haare. Er beobachtet jede Bewegung. Seine Haare waren wirklich schön. „Tja…eh…ich…wollte meine Tochter besuchen. Emma. Sie kennen sie doch bestimmt, oder?“ Er blinzelte kurz. „Ja..Emma..ein nettes Mädchen.“ Er hatte nur gestammelt. Wie konnte er sich nur wie ein Idiot verhalten? Das war doch nicht mehr lustig. Mensch, Hansi, tadelte er sich selbst. Reiß sich zusammen. „Ich kenne das Zimmer. Soll ich Sie hinführen?“ Er hätte sich für das Angebot schlagen können. Was tat er hier bloß? Emmas Vater hätte auch alleine gehen können, wenn er ihm die Zimmernummer genannt hatte. Moment. Die kannte er nicht mal selbst. Unsicher fuhr er sich durch den Nacken.

„Ja..Emma..ein nettes Mädchen.“ Nett? Seine Tochter war wesentlich mehr als nett. Deshalb grummelte er leise. „Ich kenne das Zimmer. Soll ich Sie hinführen?“ Überrascht sah er ihn an. Das hätte doch auch einer der Pagen tun können. Trotzdem nickte er. „Sehr…sehr gerne“, lächelte er schwach und folgte dem Trainer dann zu den Treppen.

Tbc: Emmas Zimmer

cf: Bennis Hotelzimmer

Langsam zweifelte Marco daran, dass er wirklich wach war und das ganze nicht bloß ein schrecklicher Albtraum war. Erst warf man ihn aus dem Hotel, weil er in seiner über aus berechtigten Wut ein Blümchen im Park umgeknickt hatte, dann wurde er vor der ganzen Welt geoutet. Marco hatte den Artikel noch nicht einmal gelesen, da trennte sich dann gleich sein Freund und seine erste Liebe von ihm... Langsam durfte er auch gerne aufwachen.
Tat er aber leider nicht. Stattdessen lief er, immer noch starr vor Schreck, Angst und Unglaube, in ein dicke Frau rein, die irgendwo auf seinem Weg standen und in ihrer kleinen Handtasche wühlte.
Interessierte ihn nicht sonderlich, zumal er mit seinen Gedanken immer noch bei der SMS war, die Max ihm geschickt hatte. Sein Kleiner hatte nicht einmal mehr den Mut gehabt, es ihm persönlich zu sagen. Stattdessen schickte er ihm die freundlichste SMS der Weltgeschichte. Das skurrile daran war ja noch, dass Max nicht Schluss machte, weil Marco ihn schon wieder betrogen hatte - woher wusste er von Gündogan und Marc? Hatte die Presse Wind von ihrem Dreier bekommen? Aber warum war Marc dann nicht geoutet? - sondern weil er lieber seinen Freund verleugnete, anstatt in dieser schweren Zeit zu ihm zu stehen. Da konnte man ja mal sehen, wie viel Marco ihm wirklich bedeutet hatte. Hatte Max ihm nicht noch erzählt gehabt, dass er gerade wegen seiner Sexsucht zu ihm stehen würde und auch bei einem Outing zu ihm halten würde? Und jetzt warf er ihn fort wie ein Stück faules Obst.
Das schlimmste war, dass Marco Max weniger hinterhertrauerte, als er es vermutet hatte. Natürlich tat es weh, ihn verloren zu haben, aber schrecklicher Weise konnte er damit leben. Vielleicht hatte er ihn ja gar nicht richtig geliebt, sich stattdessen so an ihm gekrallt, weil Max der einzige Mensch gewesen war, der ihm jemals überhaupt etwas bedeutet hatte und ihn zudem noch die selben Gefühle entgegen gebracht hatte. Aber das war ja auch keine Liebe gewesen, wie Marco jetzt schmerzlicher Weise einsehen musste.

cf: Kabine

Auf dem Weg zu Jogis Zimmer rannte er fast in einen seiner Spieler herein. Als er aber genauer hinsah, erkannte er, dass es gar keiner seiner Spieler war. Na nu, wo kam denn Marco Höger her? Dem war er noch gar nicht über den Weg gelaufen. Wobei er in den letzten Wochen eh nicht viel gelaufen war, die meiste Zeit hatte er ja bedauerlicherweise krank im Bett gelegen und wenn er sich mal zum Training aufgerafft hatte, hatte er sich ausschließlich auf das Training konzentriert.
So, wie Marco aussah, konnte er den jedoch nicht einfach so stehen lassen, zumal kein Spieler in der Nähe war. Also schob Andy seufzend seinen Besuch bei seinen Trainerkollegen auf und sprach stattdessen Marco an.
"Alles okay bei Ihnen?"

Von der rüstigen Dame gestoppt, war Marco komplett von seiner Bahn abgekommen. Er wusste gar nicht, wohin er überhaupt gewollt hatte und so stand er nun mit seinen Schmerz und seiner Trauer allein gelassen vor der Hotelrezeption, was dann aber doch kein andauernder Zustand sein sollte. Wenig später war er nicht mehr allein und als Marco sah, wer sich da vor ihm aufbaute, musste er schwer schlucken. Es war ja klar gewesen, dass er früher oder später von einem aus dem Trainerstab gefunden und dann endgültig vor die Tür gesetzt wurde, nur warum musste es ausgerechnet jetzt passieren?
"Ich geh ja schon", murmelte er tonlos und schluckte, wollte sich dann an Köpke vorbei auf die Straße drängen.

Mit der Antwort hatte er jetzt nicht gerechnet. Wenn er fragte, was los war, dann erwartete er für gewöhnlich schon eine vernünftige Antwort und nicht sowas.
Also hielt er ihn an der Schulter fest und zog ihn zurück. In dem Zustand lief der nachher noch vor irgendein Auto, das wollte er nun nicht verantworten.
"Jetzt mal ganz langsam, warum wollen Sie gehen?" Das verstand er nicht so ganz. So furchtbar war es doch hoffentlich nicht, wenn er sich mal für die Probleme anderer Menschen interessiert, oder? So manch ein Spieler hatte schon mit ich geredet, sodass er eigentlich von sich geglaubt hatte, dass er da relativ vertrauenswürdig war.

Überrascht, dass er aufgehalten wurde, ließ Marco sich wieder zurück ziehen, sodass er nun betreten vor dem Torwarttrainer stand.
"Na, weil sie doch dafür hier sind, oder? Weil man mich rausgeschmissen hat", fing er leise an zu erzählen, beließ es dann aber dabei. "Außerdem hab ich doch sowieso genug Probleme gemacht... wegen mir ist Ilkay geoutet!" Natürlich war es nicht seine Schuld, trotzdem fühlte es sich für Marco gerade so an. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte die Zeitung nichts davon erfahren, dass sie Sex gehabt hatten. Nur weil Marco so verdammt fertig gewesen war und Ilkay zu sich bestellt hatte.

Nein, deswegen war er nicht da. Er wusste nicht mal, dass Marco rausgeschmissen wurde, was aber auch wenig verwunderlich war, immerhin hatte er die letzte Zeit krank im Bett verbracht.
Da der ihn aber gar nicht erst nach dem Grund fragen ließ, sondern einfach weiterredete, geriet das auch ein bisschen in den Hintergrund. Andy fragte sich schon, ob er das gerade richtig verstanden hatte. Ein Outing war mehr als ungünstig, insbesondere während einer WM und davon hatte Andy auch noch nichts gehört. Aber offenbar war vieles passiert, von dem er nichts mitbekommen hatte.
"Wieso tragen Sie die Schuld daran?", fragte er also ruhig nach. So ein paar mehr Informationen wären schon wünschenswert, damit man sich eine Meinung bilden konnte. Falls wirklich ein Outing vorlag, müsste der Verband wohl so schnell wie möglich reagieren.

"Weil... weil... ich weiß nicht..." Marco geriet tatsächlich ins Stottern. Für ihn war es einfach klar gewesen, dass Ilkay wegen ihm geoutet war, zumal man ihn ja selbst gleich mitgeoutet hatte. Den Artikel hatte er trotzdem noch nicht gelesen und so wusste er nicht, ob er richtig lag mit dem, was er vermutete.
"Er war halt bei mir und... jetzt... wir sind beide geoutet und... ich hab es auch nur gehört", betreten ließ er seinen Kopf hängen. Er machte sich wirklich lächerlich ohne Ende. Gab sich selbst die Schuld, es war ja auch offensichtlich, dass es so war, aber begründen konnte er es nicht.
Er war eine Flasche, eine dumme, geoutete, schwule Flasche, die wirklich gar nichts auf die Reihe bekam. Weder ein friedliches Zusammenleben, noch einen normalen Sexualtrieb und erst recht keine Beziehung... von seiner nicht existierenden Fähigkeit, seine Sexualität vor der Presse geheim zu halten, wollte er gar nicht erst zu reden anfangen.

Scheinbar schien Marco selber keine Ahnung zu haben, was so wirklich passiert war, zumindest schloss Andy das aus seinem Gestammel. Vielleicht war es echt das beste, er las sich erst mal diesen Artikel durch, der ja zweifellos zu existieren schien.
"Man wird nicht geoutet, wenn man einen anderen Spieler besucht", gab er zu bedenken. Auch nicht, wenn die beiden sonst was getrieben hatten, außer sie hatten sich noch einen Pressevertreter dazu eingeladen und diese Doofheit traute er ihnen dann doch nicht zu.
Also zog er sein Handy hervor und las sich stirnrunzelnd den Artikel durch. Besonders hieb- und stichfest schien ihm der nicht, eher wie eine Aneinanderreihung von Vermutungen und (unglücklichen) Aussagen. Aber Marcos Schuld war der Artikel nun echt nicht, wie Andy sich sicher war, nachdem er ihn fertig gelesen hatte. Also gab er das Handy an den Spieler weiter und wartete geduldig, bis auch Marco den Artikel gelesen hatte. Am besten setzten sie sich direkt alle zusammen und überlegten sich eine Strategie, das schien ihm die logischte Variante zu sein. Auch wenn sie da wieder bei seinem alten Problem waren, dass seine Mittrainer verschollen waren.

Marco ließ sich Köpkes Worte durch seinen Kopf gehen, schluckte dann kräftig. Eigentlich hatte der Torwarttrainer ja Recht, dennoch. Es konnte kein Zufall sein, dass sie beide geoutet wurden, nachdem sie sich in seiner Wohnung getroffen und heißen Sex gehabt hatten. Jemand musste Ilkay gefolgt sein, auch wenn das nicht erklärte, warum niemand Marc bemerkt hatte.
Köpke reichte ihm sein Handy und seine Miene ließ dabei nicht klar erkennen, was er dachte. Zitternd nahm er das Gerät entgegen, musste sich erst einmal beruhigen, bevor er anfing, langsam den Text zu lesen.
Schon bei der Überschrift verspürte Marco den kräftigen Drang, sich zu übergeben, am Ende konnte er es dann aber doch runter schlucken.
Man hatte sie tatsächlich an dem Tag des freien Vögelns gesehen und seine verdammten Nachbarn hatten scheinbar aus dem Nähkästchen geplaudert. Solche Schweine, Marco würde ihnen garantiert keine Kekse schenken, wenn er wieder auszog.
Immer noch zitternd reichte er dem Trainer das Handy zurück, senkte betreten seinen Kopf.
"Ich hab Ilkay gebeten, dass... dass er kommt!", stotterte er, schluckte ein weiteres mal. "Und jetzt denken sie, er wäre mein Freund!"
Kein Wunder, dass Max ihn wegen Ilkay so fertig gemacht hatte.

Marcos Hand zitterte und Andy machte sich wirklich Sorgen um den Spieler. Das war gar nicht gut, wenn es ihm so schlecht ging. Denn dass ihm das alles zu viel war, war mehr als deutlich sichtbar. Vielleicht sollte er den erst mal zu Didi schicken, so machte das Andys Meinung nach wenig Sinn. Marco gehörte zwar nicht zum Team, aber in einer solchen Notsituation konnte man da auch mal ein Auge zudrücken, wie Andy fand. Zumindest würde er die Idee im Hinterkopf behalten, einen Nervenzusammenbruch konnte hier keiner brauchen.
Das Gestottere war wenig verständlich, aber Andy reimte es sich trotzdem zusammen.
"Das ist er aber nicht, oder? Und schwul sind Sie schon?" Hoffentlich war das jetzt nicht zu direkt, aber Andy fand schon, dass man das wissen sollte, wenn es darum ging, ob sie ein Gegenstatement brachten. Vielleicht sollte er auch mal nach Ilkay suchen, der brauchte bestimmt auch Hilfe.

Marco zuckte zusammen, als Köpke ihn wieder ansprach. Seine Augen zuckten einen Moment nach oben zu den Augen des Trainers, bevor sie wieder den schützenden Boden suchten. Marco fühlte sich... grauenhaft? Er war verwirrt, verschreckt, und dennoch wusste er nicht so genau, was er eigentlich wirklich fühlte. Alles war so unwirklich, so schrecklich und verschwommen um ihn herum und so brauchte er einen Moment, um sich zu fassen und seine Gedanken in seinem Kopf zu einer brauchbaren Antwort umzuformen.
"B...bi!", stellte Marco richtig. Man wollte schließlich nicht vergessen, dass er vor nicht weniger als zwei Stunden kurz davor gewesen war, ein kleines Kind zu zeugen. "U-und er ist nicht... also mein Freund, der... mein Exfreund... er hat gerade mit mir Schluss gemacht!" Erklärend hielt er sein Handy hoch, welches allerdings dunkel und schwarz in seiner Hand lag und keinen Einblick auf die SMS lieferte. Ob Köpke daraus schlauer wurde, wusste er nicht, er hoffte es nur.

Andy wartete geduldig, bis Marco sich gefasst hatte. Er wollte gar nicht wissen, was alles auf den jungen Spieler eingeprasselt war in den letzten Stunden. So ein Outing war vor allem aufgrund der Tatsache, dass niemand die Konsequenzen abschätzen konnte, extrem einschüchternd. Selbst das größte Arschloch würde da wohl kaum seelenruhig bleiben, es stand viel auf dem Spiel.
Hatte er doch richtig geschätzt, dass Marco auf jeden Fall etwas mit Männern anfangen konnte. Zwar war er nicht schwul, aber bi. Damit fiel er in die selbe Kategorie wie Andy selber, das würde er ihm jedoch sicher nicht auf die Nase binden. Nachher rutschte ihm das noch raus und das wollte Andy dann doch nicht. Bei allem Mitgefühl würde er zuerst seinen eigenen Arsch retten.
Dass Marco vergeben gewesen war, überraschte ihn schon ziemlich. Bei dem Artikel fand er es jedoch wenig verwunderlich, dass sein Ex Schluss gemacht hatte. Wenige Menschen akzeptierten einfach so, dass sie betrogen wurden. Trotzdem hätte man das nun nicht per SMS machen müssen, wie Andy fand.
"Was hältst du davon, wenn wir mal Ilkay suchen?", schlug er vor.

Marco richtete doch tatsächlich seinen Blick auf, schaute Köpke eingeschüchtert an, in der Hoffnung, dass er irgendeine Gefühlsregung in ihnen fand.
Andreas Köpkes Gesicht war ruhig und freundlich, doch das war es immer. Schlauer wurde er nicht durch ihn, aber die Ruhe und Beständigkeit des alten Mannes beruhigte ihn ein wenig. Verstehen tat er trotz allem noch immer nicht viel.
Von dem, was Köpke sagte, verstand Marco nur Fetzen. Zu "Du" gesellte sich "Wir", dann wurde das ganze schwungvoll mit einem "Ilkay" vergoldet. Sein unverständlicher Blick bohrte sich in die Brust des Torhütertrainers. Denn genau das war der Punkt, auf den seine Augen sich zwischen der Sicherheit des Bodens und der Ehre und des Respektes des Augenkontaktes hatten einigen können. Marco verstand selbst nicht so genau, was das zu bedeuten hatte.
"Was... ich, ähm...? Tut mir l-leid, aber... ich weiß nicht", gestand er leise und schon senkte er seinen Blick wieder einige Zentimeter, sodass er jetzt in Richtung Bauchnabel des Trainers schaute, ohne ihn richtig zu sehen. Sein Blick verlor sich irgendwo dazwischen.

Marco blickte ihm in die Augen und Andy machte sch langsam immer mehr Sorgen. Die Gefühle, die er im Blick des jungen Mannes sah, sagten eigentlich alles aus. Verstehen tat er wohl auch nicht, was Andy von ihm wollte, dem verständnislosen Blick nach, Dann senkte er seinen Blick ein bisschen und das Gestammel unterstrich Andys Vermutung, dass Marco gerade zu fertig für alles war.
Also trat er einen Schritt näher und legte Marco beruhigend eine Hand auf die Schulter, um ihn irgendwie aus seiner Welt zu holen. Nach einem kleinen Moment sprach er auch wieder mit ihm, bemühte sich dabei um eine ruhige Stimmlage. Eigentlich brachte ihn wenig aus der Fassung und er legte auch Wert darauf, dass man es nicht bemerkte, wenn er denn mal überrascht war.
"Wir beiden suchen jetzt Ilkay", wiederholte er, ließ Marco diesmal gar keine Wahlmöglichkeit. Der war eh zu überfordert, um damit irgendwas anfangen zu können, da war es besser, wenn Andy das einfach bestimmte.

SMS an Ilgay

Krieg dich mal wieder ein. Konnte ja nicht ahnen, dass es neben dir in der Mannschaft noch so einen hirnverbrannten Idioten gibt. Na dann mal Glückwunsch. Ich würd gern sehen, wie wir diese WM noch weiter überleben sollen.
Danke wirklich! Aufpassen kann man auch nicht mehr in deinem Alter oder was?

Marco zuckte leicht zusammen, als er die Hand auf seiner Schulter spürte. Er hatte sie nicht kommen sehen, war viel zu stark in einem unendlichen Universum der Leere versunken gewesen. Marco musste mehrere Male blinzeln, um sich wieder im Hier und Jetzt zurecht finden zu können, aber noch einer kurzen Zeit ging es auch schon wieder ein bisschen. Zumal er diesmal wirklich verstand, was Köpke ihm sagte. Sie wollten Ilkay suchen gehen.
Marco konnte sich noch wage daran erinnern, wo er ihn das letzte Mal gesehen hatte und so zeigte er in Richtung Lobby.
"Er... er war da und... hat erzählt, aber... er könnte ja...", er zuckte hilflos mit seinen Schultern.
Er war wirklich unglaublich fertig. Seine Gedanken liefen Amok und sowieso verstand er gar nichts mehr. Das ganze musste einfach ein Traum sein, alles andere war nicht möglich. Niemand konnte ihm erzählen, dass ihm an einem Tag sein ganzes Leben zerstört wurden konnte. Wenigstens wusste die Presse noch nichts von seiner Sexsucht. Noch so ein Abgrund, ein dunkles Geheimnis, das um keinen Preis rauskommen durfte.
"Mein V-Vater hatte Recht", stellte er fest. Er war wirklich eine Schande für die Familie.

Marcos Reaktion war eindeutig. Der Junge war überhaupt nicht geistig anwesend und Andy wusste langsam nicht mehr so wirklich weiter. Allzu oft musste er nicht mit geschockten Spielern umgehen, außerdem war das auch eher Didis Aufgabe und nicht seine. Entschlossen nahm er Marco sein Handy wieder ab und tippte eine SMS an den Therapeuten.
Dann folgte er Marcos Fingerzeig und sah tatsächlich Ilkay auf sie zukommen. Das, was sich Marco da zusammenstotterte, verstand er zwar nicht so wirklich, aber so wie der gerade drauf war, fand er das auch nicht so wirklich relevant.
Während er also überlegte, wen er noch so informieren sollte, redete Marco schon weiter und diesmal verstand Andy ihn auch, aber leider nur akustisch. Der Sinn hinter den Worten blieb ihm irgendwie verschlüsselt. Bevor er jetzt hier rumriet, würde er einfach nachfragen, das schien ihm die einfachste Variante zu sein.
"Womit?" Wenn es das war, was er gerade befürchtete, hatte der definitiv nicht recht und dann könnte er das Marco hoffentlich auch ausreden. Ihren Pressebeauftragten würden sie nachher auf jeden Fall auch noch informieren müssen, aber erst mal schien es ihm wichtiger, dass Marco wieder normal wurde. Wie es um Ilkay stand, wusste er nicht, aber er bezweifelte, dass es ihm so wirklich besser ging.

Marco hatte erwartet, dass Köpke nachfragen würde, demnach brachte ihn seine Stimme nicht noch mehr durch einander. Das einzige Problem, was er jetzt noch hatte, war, dass er einen richtigen Satz herauskriegen musste, den der Trainer auch verstand, ansonsten würde er nachfragen und Marcos Ehre würde immer weiter sinken.
"I-ich bringe Sch... Schande über die Familie!" Es hatte erst überhaupt nicht über seine Lippen kommen wollen, aber als es dann endlich draußen war, fühlte Marco sich schon ein bisschen besser. Es war gut, es rauszulassen, dass redete er sich zumindest ein. Er wusste zwar nicht wie, aber es war ja schließlich möglich, dass Herr Köpke ihm helfen konnte.
Und diesmal würde Marco nicht so dumm sein und diese Hilfe von sich weisen.
"Seit meine Mu...Mama tot ist u.. und er weiß, dass ich... also... sie... sie wissen... also er, er hatte immer Recht. Ich bin abartig und... nutzlos!"
Es tat weh, sich das einzugestehen, aber Marco war sich sicher, dass Einsicht wichtig war. Er musste schließlich wissen, wo er hin gehörte und wo er sich in der Gesellschaft unterzuordnen hatte. Und das war ganz unten. Er schluckte.

Das war sogar noch schlimmer, als Andy gedacht hatte. Er verstand einfach nicht, wie man als Elternteil seinem Kind so etwas einreden konnte. Seine eigenen Kinder hatte er zur Toleranz hin erzogen, immerhin war er selber auch bisexuell, da wäre alles andere auch sehr seltsam.
"Das ist Blödsinn und das weißt du auch", widersprach er also. Man sollte meinen, dass es solche Meinungen in ihrer aufgeklärten Gesellschaft nicht mehr gab, aber dem war wohl leider nicht so. Andere Menschen hätten für diese Ansicht auch mal gut und gerne eine heftige Beleidigung kassiert, schließlich war Andy mehr oder weniger selber betroffen. Aber da Marco im Prinzip nur die Weltsicht seines Vaters wiedergab, sparte er sich das.
"Hören Sie mir zu, Sie sind ganz sicher nicht nutzlos oder abartig. Wenn Ihr Vater das von Ihnen denkt, dann ist das bedauerlich, aber da macht er einen Fehler, indem er Sie falsch beurteilt. Niemand sucht sich seine Sexualität aus und eigentlich sollte auch niemand dafür verurteilt werden." Andy wusste selber, dass das nicht immer der Wahrheit entsprach, aber genau so sollte es seiner Meinung nach sein.
"Sie haben viel erreicht, gucken Sie auf ihre Karriere, ihre Freunde, auf irgendwas, auf das Sie stolz sind. Lassen Sie nicht zu, dass sie diesen Mist selber glauben."

"Ich... ich weiß nicht, ob... ob ich das weiß", gestand Marco leise. Er hatte immer gedachte, dass sein Vater falsch lag, war trotzig in die Welt voran gestiefelt, die Nase erhoben, die anderen unter sich murrend stehen gelassen. Marco war sein eigener Herr gewesen, hatte gefickt wen er wollte, wo und wann er wollte und vor allen Dingen wie oft er wollte. Und das war häufig gewesen.
In seinen schlimmsten Phasen hatte es ihn auch nicht gestört, dass er Profifußballer war. Er hatte sich einfach eine Cap gegriffen und war in den nächsten Club gefahren, hatte sich dort einen Typen geschnappt und sich bereits im Darkroom von ihm nehmen lassen. Scheiß auf das Risiko.
Doch unter dieser ganzen Rebellion, diesem kindischen Trotz und seinen krampfhaften Versuchen, zu existieren, hatte er den ganzen Schmerz in sich hinein gefressen. Das alles, seine Alles-egal-Haltung, seine kleinen und großen Aufstände, das alles war eine Lüge gewesen, eine irreale Welt, die er als Mauer um sich herum aufgebaut hatte. Und diese Mauer war jetzt gefallen und unter den blutigen Trümmern kroch die Wahrheit hervor. Hässlicher und schrecklicher als gedacht und sie riss Marco mit sich.
Er konnte an nichts anderes mehr denken. All die Worte, die er gewissenlos ignoriert hatte, überkamen ihn nun, jedes noch so kleine Wort von seinem Vater und seinen Freunden.
"Es ist nicht, dass... meine... meine Sexualität, die... es ist akzeptabel, aber... aber ich!" Köpke wusste doch gar nicht, was für ein Monster Marco wirklich war. Er sah nur seine Hülle, seine Maske.
"Und das... meine Freunde haben es auch ge...gesehen und jetzt... ich bin allein!" Selbst Johanna, die er nicht einmal mehr zu seinen Freunden zählte, war vorm Sex viel netter zu ihm gewesen als danach.

Andy seufzte leise. Natürlich gab es solche Unsicherheiten bei Menschen, die sich nicht dazu durchringen konnten, ihr Leben so zu leben, wie sie wollten. Aber bei jemandem wie Marco, der sich mehr als offensichtlich dazu entschieden hatte, auch wirklich sein Leben voll auszuleben, waren die doch eher selten, vermutlich nur hervorgerufen durch die Extremsituation des Outings.
"Doch, das weißt du", teilte er ihm deshalb entschieden mit, wobei er sich bemühte, dass seine Stimme dabei nicht zu hart klang und Marco einschüchterte, aber trotzdem keine Zweifel bezüglich seiner Aussage blieben.
Was der Spieler dann redete, verstand er nicht so wirklich, aber das tat er hier ja schon länger nicht mehr.
"Das glaube ich so nicht. Was soll denn an Ihnen so schlimm sein? Und dass Ihre Freunde sich jetzt, wo Sie sie am dringendsten brauchen, von Ihnen abgewandt haben, spricht eher gegen sie als gegen Sie", versuchte er zu erklären. Andy war ja selber nicht der verlässlichste Mensch, aber in Notsituationen stand er hinter seinen Freunden, egal ob die seiner Meinung nach Unrecht hatten oder nicht. Das gehörte für ihn zu wahrer Freundschaft.

Marco zuckte leicht zusammen, als Herr Köpke ihn freundlich zurecht wies. Er wusste, dass der Trainer es nur nett meinte, trotzdem schüchterte es ihn ein. Aber das war wahrscheinlich auch kein Wunder, schüchterte ihn doch alles in seiner momentanen Fassung ein.
"Ich... ich wusste es mal?" Es war eine Frage und keine Feststellung. Denn soweit, wie Marco mit seinen Gedanken war, war er sich nicht mal mehr sicher, ob man etwas, an das man früher geglaubt hatte und was sich nun als Unwahrheit entpuppte, wissen konnte, oder ob man es nur gedacht hatte. Das hatte man ja zweifelsohne, aber dennoch... Marco begriff seine Gedankengänge derzeit selbst nicht so genau.
"Sie... sie sind gute... waren gute Freunde", stellte er leise klar. Denn auch, wenn Julian, Benni, Max und noch manch andere sich nun von ihm abgewandt hatten, so hatten sie doch immer eine schöne Zeit zusammen gehabt. Wenn er beispielsweise an Julian und seinen gemeinsamen Urlaub dachte, brachte er doch schon fast ein Lächeln zustande.
"Ich bin... ich hab einfach zu viel.... zu viel Mist gebaut! Aber.. sie wissen jetzt und wollen mich gar nicht mehr... glaube ich!"