Die Eisprinzessin

Julian schnürte sich seine Eislaufschuhe zu, betrat die Eisfläche und drehte einige Runden zum Aufwärmen. Schon seit seiner frühesten Kindheit war er regelmäßig auf dem Eis, hatte sich im Gegensatz zu seinem Bruder jedoch nicht für Eishockey entschieden, sondern für das Eiskunstlaufen. Aber er war eben schon immer anders als die anderen Jungs gewesen. Zu Fasching war er nicht als Indianer, Zorro oder Cowboy gegangen, sondern als Maus. Und dann hatte er mit dem Eiskunstlaufen angefangen, irgendwann auch im Verein. Dass er mit 14 statt einer Freundin einen Freund mitgebracht hat, hatte seine Eltern auch nicht mehr verwundert.
Inzwischen lief er richtig professionell auf dem Eis, nahm an Wettbewerben teil und war nicht ganz unerfolgreich bei den letzten Deutschen Meisterschaften gewesen.
Heute Abend hatte er die Eishalle auch für sich reserviert, konnte üben, wie er wollte und so setzte er erstmal zu einigen schönen Pirouetten an.

Voller Vorfreude auf eine leere Halle betrat Benni die Eissporthalle, seine Schlittschuhe in der Hand. Schnell waren sie angezogen und zugeschnürt, die Schnallen geschlossen und er wollte gerade auf die Eisfläche, als er stirnrunzelnd den Jungen auf der anderen Seite bemerkte.
Er hatte sich doch eigentlich in die Liste eingetragen und die Halle für sich... er hatte immerhin an seinem Sprint arbeiten wollten und dafür brauchte er Platz. Aber gut, davon ließ er sich von so einem Eiskunsthüpfer nicht abhalten. Er kam ihm vage bekannt vor, aber so wirklich zuordnen konnte er das auch nicht.
Er betrat das Eis und lief locker ein paar Runden um sich aufzuwärmen, dann erhöhte er das Tempo langsam, fing an, immer wieder der Länge der Halle nach über das Eis zu sprinten. Der Hüpfer würde ihm schon aus dem Weg gehen, immerhin musste der auch sehen, das Benni im Eishockeyteam war.

Genervt verdrehte Julian die Augen, als einer aus dem Eislaufteam aufs Eis trat. Was tat der hier? Er war heute mit dem Training dran und er musste trainieren. Immehin standen in zwei Wochen die NRW-Meisterschaften an und da wollte er erfolgreich sein und gerne am Ende auf dem Treppchen stehen.
Aber die Eishalle wäre auch groß genug für sie beide, wenn jeder auf einer Seite blieb. Aber der Typ war wohl einer von den richtigen Eismachos, lief so, wie er wollte und nahm wohl wenig Rücksicht.
Beinahe wäre er in ihn reingekracht, wäre Julian nicht im letzten Moment ausgewichten und dabei unsanft auf dem Hintern gelandet.
"Sag mal, spinnst du?", herrschte er ihn an, während er sich wieder aufrappelte.

Benni rollte genervt mit den Augen, als dieser Hüpfer ihm auswich und dabei auch noch stolperte und hinfiel. Konnte wohl nciht mal vernünftig laufen. Aber was erwartete man auch von diesen Hüpfern. Unter den Jungs aus Bennis Team waren die Eishüpfer allesamt nur belächelt und auch Benni konnte sie nicht wirklich ernst nehmen.
"Reg dich ab, ich hab die Halle reserviert und ich muss trainieren, wir spielen nächste Woche gegen Düsseldorf. Das ist n bisschen wichtiger, als dein Gehopse."
Er ließ den Blick ein wenig abfällig über diesen Hänfling schweifen. Ein Wunder, dass der überhaupt auf diesen Steckerlbeinchen stehen konnte, fand Benni.

Gerade bekam Jule wieder einen Beweis geliefert, warum er die Eishockeyspieler nicht leiden konnte. Die waren immer unverbesserliche Rowdys.
"Das ist kein Gehopse!", verteidigte er sich und sah den anderen wütend an. Er verstand nicht, warum man Eiskunstlauf nicht ernst nehmen konnte. Das erforderte mehr Können als viele andere Sportarten. "Ich kann besser Schlittschuhlaufen als ihr aus dem Eishockeyteam."
Bisschen übers Eis laufen und Tore schießen konnte er auch. Es interessierte ihn nur nicht weiter und er war lieber allein auf dem Eis.
"Außerdem hab ich die Halle reserviert und ich muss für die NRW-Meisterschaften trainieren."

Benni schüttelte genervt den Kopf. Als ob dieses Gehopse besseres Schlittschuhlaufen war als das, was die Eishockeyspieler konnten!
Der hatte wohl noch nie ein Eishockeyspiel gesehen und hatte keine Ahnung, was sie alles auf Kufen anstellen mussten und dabei noch eine gegnerische Mannschaft an die Wand spielen mussten. Das erforderte definitiv mehr Können als das Gehopse.
"Scheiß auf deine NRW-Meisterschaft, ich spiel um die Qualifikation für die EM, also... kannst auch auf die Liste schauen, da steht mein Name. Ich hab die Halle schon vor Ewigkeiten reserviert."

"Für mich gehts um die Qualifikation für die Deutsche Meisterschaft und danach hoffentlich weiter für die EM und Olympia! Das ist sehr wohl wichtig."
Es ging ja auch um Sponsoren und darum, dass er Geld verdienen musste. Er musste ja ohnehin nebenbei arbeiten, damit es überhaupt reichte.
"Tja, dann hat irgendein Idiot nen Fehler gemacht. Ich muss auf alle Fälle trainieren."
Er seufzte, sah sich um. Die Fläche war ja wirklich groß und richtig Lust auf so eine dumme Diskussion hatte er auch nicht.
"Kannst du damit leben, wenn ich die eine Hälfte nehme und du auf der anderen trainierst?"

Benni runzelte die Stirn. Für das Gehopse gab es eine EM? Das konnte er sich nicht wirklich vorstellen. Aber gut wenn der Kerl unbedingt wollte...
Benni schüttelte nur den Kopf. "Wie soll ich auf der halben Halle trainieren... ich brauch mehr Platz als dein Gehopse. Ich brauch die ganze Länge, wie soll ich sonst vernünftig sprinten?"

"Das ist kein Gehopse!" Das war wirklich eine Unverschämtheit, was der Kerl von sich gab. Eiskunstlauf war eine anstrengende Sportart und erforderte Konzentration und vieles mehr.
"Und ich muss hier auch trainieren! Was du machst, ist mir egal, aber lass mich in Ruhe."
Dann würde er eben in der Mitte trainieren und der Kerl konnte seine Sprints am Rand machen.
Julian drehte sich ohne ein weiteres Wort um, lief in die Mitte des Eises und begann wieder mit seinen Pirouetten, nachdem er ja vorhin so toll aus dem Rhythmus gebracht worden war.

Wenn der Kerl partout meinte, dass er jetzt hier einen auf coolen Obermacker machen konnte, mit seinem Schwuchtelsport, dann würde Benni ihn einfach in diesem Irrglauben lassen. Fur er ihm halt das Eis kaputt, dann wurde es nichts mehr mit diesem unnötigen Gehüpfe.
"Das sieht total lächerlich aus", kommentierte er das, wasder Kerl da ablieferte, vom Rand aus, bevor er zum Sprint ansetzte und am anderen Ende der Bahn mit dem Rücken zur Bande stehen blieb. Er legte seine Stoppuhr auf der Bande ab und startete den Timer, bevor er so schnell er konnte loslief.

Jule verdrehte die Augen. Sollte der doch reden, was er wollte. Nicht jeder verstand diesen Sport. Aber es war nicht lächerlich. Es war ein Sport, der vielleicht nicht total heterosexuell rüberkam, aber das war er ja auch nicht und das wusste er.
Wenigstens konnte er trainieren und wurde nicht weiter gestört. Er kam rein in sein Training, übte sich an ein paar einfacheren Sprüngen. Nachdem auch das klappte, fuhr er an den Rand, legte die CD in den bereitgestellten CD-Player und spielte das Lied ab, zu dem er bei den Meisterschaften laufen würde. Dann lief er wieder in die Mitte der Halle, stellte sich hin und begann mit den ersten Schritten seiner Choreographie.

Benni ließ sich von dem Gehüpfe nicht aus der Ruhe bringen, aber als der Kerl dann mit seiner Musik anfing, rollte er genervt mit den Augen. Wie sollte er sich so konzentrieren, wenn die ganze Halle von dieser blöden Musik wummerte? Er lief kurzerhand hinüber zum Rand und drehte die Musik leise, sodass er sich auf sein Training konzentrieren konnte. Wenn der Hopser unbedingt sein Gedudel in voller Lautstärke brauchte, sollte er doch Kopfhörer aufsetzen.

Julian stöhnte genervt auf, als der Typ seine Musik leiser machte. So hörte er es gar nicht mehr richtig und entsprechend konnte er seine Choreographie nicht perfekt auf die Musik abstimmen. Klassische Musik war nicht jedermanns Sache, aber es gehörte hier dazu und dann sollte man es auch mal kurz laufen lassen können. Fand er zumindest.
"Verdammt, kannst du mal mit der Scheiße aufhören? Ich muss hier trainieren", motzte er den anderen an und lief wieder zum Rand und drehte die Musik wieder lauter.

Benni rollte genervt mit den Augen, als der Hüpfer jetzt endgültig anfing, rumzuzicken.
"Ich muss hier genauso trainieren und ich muss mich konzentrieren, wenn ich nicht will, dass mir in der EM-Quali alle davonlaufen und ich völlig unnütz rumstehe", blaffte er zurück. Warum kapierte der Kerl nicht, dass er als Eishockeyspieler verdammtes Training brauchte? "Dein Gehopse kann doch jeder Idiot! So einen Schwuchtelsport macht doch kein normaler Mann freiwillig!"

"Ich mache diesen Schwuchtelsport zufälligerweise verdammt gerne!" Aber in den Augen des anderen war er wohl auch kein normaler Mann. Wahrscheinlich so ein typischer Eishockey-Macho, der Schwule nicht leiden konnte. Die kannte er ja schon.
"Und wenn es jeder kann, dann bitte... Zeig du doch, wie toll du das kannst. Es ist mit Sicherheit anspruchsvoller als sinnlos übers Eis zu jagen und diese komische Scheibe da ins Tor zu schießen."

"Anspruchsvoller?" Benni lachte spöttisch. "Du hast doch keine Ahnung, wie taktisch und komplex Eishockey ist."
Was erwartete er auch von so einer hüpfenden Tunte? Fehlte ja bloß noch, dass er so ein schwules Kostümchen anhatte.
"Und ich mach mich hier doch nicht zum Affen, ich bin doch keine Schwuchtel."

Taktisch und komplex? Er hatte nicht viele Eishockeyspiele gesehen, weil er es einfach todlangweilig fand. Aber es kam ihn nicht so vor, als würde es wahnsinnig viel Können erfordern.
"Vielleicht hab ich nicht so viel Ahnung von deinem Sport, aber du auch nicht von meinem. Und ich muss verdammt nochmal trainieren."
Das Wort Schwuchtel hätte er gerne überhört. Er war schon hundertmal so beleidigt worden, aber dennoch versetzte es ihm immer noch einen Stich.
"Dann bin halt nur ich die verdammte Schwuchtel. Und jetzt wurde ich gerne meinen Schwuchtelsport weitermachen."
Er drehte die Musik noch lauter, lief dann schnell wieder in die Mitte vom Eis und wollte jetzt endlich in Ruhe trainieren.

Benni rollte genervt mit den Augen. Meine Güte, der war ja nicht nur eine Schwuchtel, sondern auch noch eine zickige Schwuchtel, dachte er sich. Das machte echt keinen Spaß, sich mit dem rumzuschlagen.
"Hast du nicht wenigstens Kopfhörer?" fragte er genervt. "Ich muss mich hier nun mal auch konzentrieren und das geht mit deinem nervigen Gedudel da nicht!"
Was war das überhaupt? Klang auf jeden Fall verdammt nervig.

"Das ist Klassik und kein Gedudel! Oder soll ich deiner Meinung nach zu irgendeiner Hiphop Scheiße tanzen?"
Es war nicht so, dass zu zu Hause nur klassische Musik hörte, aber zum Eiskunstlauf gehörte es dazu und er fand die Musik auch schön.
"Und nein, ich hab keine Kopfhörer dabei. Ich bin nämlich davon ausgegangen, dass ich die Halle für mich hab und mich kein Eishockeyproll stört."

"Ich bin kein Proll", motzte Benni. "Ich hab nur die Halle für mich reserviert und brauch meine Ruhe für mein Training. Und wenns dich stört, dass ich hier laufen muss, dann geh halt einfach und hops woanders weiter mit deiner nervigen Schnulzmusik."
Langsam drohte ihm wirklich der Kragen zu Platzen, dieser Idiot ging ihm wirklich auf den Sack.
Waren diese Eishampelmänner also tatsächlich alle so zickige Schwuchteln...

"Soll ich etwa draußen auf der Straße trainieren? Ich hab diese Halle eigentlich auch für mich allein reserviert. Außerdem rennst du nur die Bahn ein paar Mal auf und ab. Das kannst du doch auch, wenn ich zwei Mal die komplette Choreo mit Musik durchgehe. Danach trainier ich gerne leise weiter."
Wenn es denn unbedingt sein musste... Morgen hatte er zum Glück wieder Training mit seinem Trainer. Da konnte ihn ja keiner stören.

Benni rollte mit den Augen. Klar, Bahn auf und ab rennen... Konditionstraining und Laufrythmus waren dem wohl egal. Wenn er den Kerl rumhopsen ließ, dann würde er da überhaupt nichts schaffen, sondern höchstens ein paar Mal stumpf die Bahn auf und ab rennen.
"Meinetwegen... du kapierst eh nicht, was ich mache und wenn dein Gedudel hier läuft, kann ich eh nicht vernünftig trainieren, also lauf mir halt mit deinem Gehampel das Eis kaputt", meinte er genervt und stiefelte zur Bande. Draußen ließ er sich auf eine Bank fallen. "Bleib ich halt länger hier, ist ja nicht so, dass ich heute Abend eigentlich den Geburtstag von meiner Freundin feiern wollte, nach dem Training, das mir so eine dämliche Schwuchtel versaut hat."

Julian konnte doch auch nichts dafür, dass er trainieren musste und dazu eben auch Musik brauchte. Er war ja fast versucht, Mitleid mit dem anderen zu haben, aber das verspielte er sich ganz schnell wieder.
"Ich bin keine dämliche Schwuchtel!", motzte Julian wütend und stellte die Musik aus. Die Lust auf Training verging ihm gerade wirklich. Hoffentlich lief er dem Typen nachher nie wieder allein über den Weg. "Wusstest du eigentlich, dass die meisten homophoben Prolls nur Angst haben, selbst schwul zu sein?"
Provozierend sah er ihn an. Erfahrungsgemäß kam dieser Satz bei Männern und insbesondere bei den Eishockeyspielern, die er kannte, nicht besonders gut an.

Benni lachte nur. Klar, er sollte Angst haben, selber schwul zu sein. Der Kerl hatte doch keine Ahnung.
"Klar, ich bin schwul, sicher... ich hab ne Freundin, mit der ich verdammt glücklich bin. Voll schwul."
Er ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen, nicht mit solchen dämlichen Sprüchen.
Er hatte ja nicht mal was gegen Schwule, ihn regten nur diese tuntigen Hüpfer auf, aber das brauchte der Idiot ja nicht zu wissen.

Wenn er meinte... Es war Julian egal, mit wem der Kerl zusammen war. Wahrscheinlich hatte er eh nie über seinen heterosexuellen Tellerrand hinausgesehen.
"Und was hast du dann für ein Problem mit mir? Ich will hier nur trainieren und mich nicht beleidigen lassen, nur weil ich ich schwuler Eiskunstläufer bin."
Worüber diskutierten sie eigentlich? Wer schwul war und wer nicht? Von der Trainingszeit war jedenfalls nicht mehr so viel übrig.